Über den Dächern von Lidl

von Juliane Schader 17. Januar 2012

Acht Wohnungen auf dem Dach des neuen Lidls in der Bornholmer Straße suchen derzeit neue Mieter. Die Ausstattung ist gehoben, der Preis alles andere als Discount.

Es mag eine dieser Legenden sein, die Reiseführer gerne in die Welt setzten, um Touristen zwischen Jahreszahlen und Baustilen mit kleinen Anekdoten den Tag zu versüßen: Die Geschichte, dass die Pariser gerne auf den Eifelturm fahren, weil oben auf dessen Spitze der einzige Ort ist, an dem man das scheußliche Ding nicht sehen muss. Vielleicht stimmt sie nicht, aber das System funktioniert. Wie man in Prenzlauer Berg am Beispiel der Lidl-Wohnungen sehen kann.

Auf dem Dach des im Herbst neu eröffneten Discounters an der Bornholmer Straße stehen derzeit acht Wohnungen zur Vermietung bereit. Entstanden sind sie, weil das Baurecht an dieser Stelle keinen einstöckigen Flachdach-Markt duldete. Nun werden für die sechs Drei-Zimmer-Wohnungen sowie jeweils eine Zwei- und eine Vier-Zimmer-Wohnung die ersten Mieter gesucht. Zwei Terrassen, ein Atrium, Zentralheizung, Einbauküche und Parkettfußboden auf 115 Quadratmetern werden etwa für die Drei-Zimmer-Varianten in der Anzeige offeriert. Den Preis von 12 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete erfährt man erst auf Anfrage.

 

Klingeln links von der Pfandrückgabe

 

Wer als Interessent eine solche Wohnung besichtigt, muss wohl erstmal den Schock verdauen, dass Wohnen auf dem Dach eines Lidl-Marktes tatsächlich bedeutet, dass das eigene Haus auf einem Flachdachbunker thront, von der Straße aus kaum zu sehen. Treppe und Briefkästen befinden sich direkt neben der Pfandrückgabe.

Ist man aber erst einmal oben, ist der Supermarkt schnell vergessen. Wie in einer Reihenhaussiedlung stehen die Wohnungen in Viererreihen zur Rechten und zur Linken, die kleinen Vorgärten einander zugewandt. Statt Lidl-Blau und Neon-Farben, die der Supermarkt zur Bewerbung seiner Angebote einsetzt, wird hier auf helle Töne gesetzt, auch in den Wohnungen. Die großen Fenster lassen viel Licht herein, der Vermieter selbst bezeichnet die Ausstattung als „hochwertig“. Für langjährige Altbaubewohner sind die geraden Wände und isolierten Fenster ein Schock. Ebenso wie die Aussicht, im Sommer grillend mit seinen sieben Nachbarn im Vorgarten zu sitzen, überzeugte Großstädter irritieren dürfte.

Denn die Wohnungen auf dem Supermarktdach bilden eine Insel der Vorstadthaftigkeit direkt zwischen S-Bahngleisen und Bornholmer Straße am Rande des Prenzlauer Bergs gelegen. Von hier kann man beobachten, wie zur Morgenstunde der Markt mit Ware beliefert wird, wie sich der Verkehr auf der Bösebrücke staut und wie die Touristen auf der anderen Straßenseite das Mauerdenkmal besichtigen. Auch der Blick auf die Terrassen der Nachbarn ist völlig frei, bis diese sich zum Aufbau holzvertäfelter Sichtschutze entschließen. Nur das hässlichste Gebäude der Gegend, den Markt selber, den sieht man nicht.

 

Bis zu 1700 Euro Miete für 115 Quadratmeter

 

Zwischen 1600 und 1700 Euro Warmmiete werden laut Auskunft der Maklerin im Monat für eine der 115-Quadratmeterwohnungen fällig. Das ist selbst im Kiez der steigenden Mieten keine Kleinigkeit. Dafür fiele keine Provision an, heißt es, und auch die sonst geforderten Einkommensnachweise und Schufa-Auskünfte würden nicht verlangt. „Es muss jeder selbst wissen, ob er sich eine solche Wohnung leisten kann.“

Die Ankündigung des Discounters, die Wohnungen zu marktübliche Preisen vermieten zu wollen, hat sich damit erfüllt: Das Immobilienportal Immoscout verzeichnet für das vergangene Jahr in Prenzlauer Berg einen Durchschnittswert von über 11 Euro Kaltmiete für Neubauwohnungen. Anders als bei seinem Hauptsortiment sind es bei den Wohnungen also nicht die kleinen Preise, über die sich der Discounter finanziert. Dafür hat sich der Architekt aber auch etwas mehr Mühe gegeben als bei den Standard-Flachdach-Märkten.

Nun könne man zumindest in Prenzlauer Berg auch Wohnungen über einem Supermarkt an den Mann bringen, kommentierte im vergangenen Jahr der damalige Stadtentwicklungsstadtrat Michail Nelken (Linke) die Aktivitäten des Discounters auf dem Immobilienmarkt. Angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt dürfte er Recht behalten und Mieter für die Dachkonstruktion schnell gefunden sein. Als nächstes möchte Lidl sich in der Prenzlauer Allee an 30 Wohnungen und einer Blockrandbebauung versuchen. Dort steckt man allerdings derzeit noch mitten in der Planungsphase.

 

 

 

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