Weil ihre Mieten zu hoch sind, müssen immer mehr Empfänger von Hartz-IV umziehen. Günstigen Wohnraum gibt es im Kiez zu wenig, dafür aber lange Wartelisten für die günstigen Sozialwohnungen.
Immer mehr Pankower Hartz-IV-Empfänger müssen umziehen, da ihre Miete zu hoch ist. Das geht aus einer kleinen Anfrage der Piratenfraktion an das Bezirksamt von Anfang Dezember hervor. Nach Angaben von Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), Bezirksstadträtin für Soziales, wurden zwischen Januar und November des vergangenen Jahres in mehr als 10.700 Fällen sogenannte Richtwertüberschreitungen festgestellt. Das heißt, dass die Höhe der Warmmiete den vom Jobcenter festgelegten Richtwert übersteigt. In Berlin liegt dieser Wert bei einem Ein-Personenhaushalt bei 378 Euro, bei einem Zwei-Personen-Haushalt bei 444 Euro und einem Haushalt mit drei Personen bei 542 Euro. In knapp 3.000 Fällen mussten die Betroffenen die Kosten ihrer Wohnung senken, beispielsweise durch Umzüge. Zum Vergleich: 2009 wurden rund 1.600 Überschreitungen festgestellt, in knapp 350 Fällen wurde reagiert. Damit mussten 2011 fast neunmal so viele Hartz-IV-Empfänger die Kosten ihrer Wohnung senken wie zwei Jahre zuvor.
Rund 18.800 Pankower Hartz-IV-Empfänger erhielten laut Zürn-Kasztantowicz im dritten Quartal 2011 die sogenannten Kosten der Unterkunft (KdU), um Miete und Nebenkosten bezahlen zu können. Die Höhe der Zahlung ist unter anderem abhängig von der Zahl der Familienangehörigen und deren Alter sowie der durchschnittlichen Höhe der örtlichen Mieten. Damit wohnen mehr als die Hälfte der Pankower Hartz-IV-Empfänger in Wohnungen, die eigentlich zu teuer sind.
Gestiegene Betriebskosten sind kein Umzugsgrund
Jedoch zieht nicht jede Überschreitung zwangsläufig einen Umzug nach sich, da in jedem Fall individuell überprüft und entschieden wird. Schwangere, Alleinerziehende oder auch Menschen, die voraussichtlich in absehbarer Zeit Arbeit finden, dürfen den Richtwert beispielsweise um bis zu zehn Prozent übersteigen. Auch wenn die Heizkosten aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen höher liegen, besteht kein Grund zur Sorge. Insgesamt gilt: Niemand darf wegen gestiegener Betriebskosten zum Umzug gezwungen werden. Nur wenn den Mietern unwirtschaftliches Verhalten nachgewiesen werden kann, drohen Konsequenzen.
Neben der Berechnung der Angemessenheit der Ausgaben werde die aktuelle, zu hohe Miete mit den bei einem Umzug unvermeidbaren Kosten für Mietkaution, Umzugskosten sowie Mietzahlungen für zwei Wohnungen gegenübergestellt, erklärt Zürn-Kasztantowicz. Erst dann werde entschieden, ob der Mieter die Kosten für die Wohnung wirklich senken müsse.
Mieter, die in das Visier der Behörde geraten sind, haben in aller Regel ein halbes Jahr Zeit, zu reagieren. Sei es, indem sie eine neue Wohnung oder einen Mitbewohner finden, die zu hohen Kosten selbst übernehmen oder ihren Vermieter zu einer Mietsenkung überreden. Gerade Letzteres dürfte aber schwierig werden.
Lange Wartezeiten bei Wohnungen mit Belegungsrecht
Hilfe bei der Wohnungssuche und Kontrolle der Betriebskostenabrechnung bietet unter anderem die Mieterberatung Prenzlauer Berg. Mitarbeiter Bernd Schwerbarth empfiehlt wohnungssuchenden Hartz-IV-Empfängern, sich an Wohnungsgenossenschaften zu wenden, da diese nicht nur gewinnorientiert handelten, sondern auch soziale Pflichten hätten. Auf dem freien Markt sei es für die Betroffenen aufgrund der hohen Preise nicht möglich, Wohnungen zu finden. Auch das Bezirksamt hat nach Angaben von Schwerbarth das Belegungsrecht für knapp 5.000 sanierte Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg, deren Preise deutlich unter den Durchschnittsmieten im Kiez liegen. Lioba Zürn-Kasztantowicz betont jedoch, dass dieses Angebot derzeit komplett ausgeschöpft sei. „Es gibt lange Wartelisten“, sagt sie.
„Das Problem der Mietpreissteigerung und der daraus resultierenden Verdrängung kann nachhaltig nur durch Wohnungsbau gelöst werden“ meint Zürn-Kasztantowicz. Eine Erhöhung des KdU-Geldes ist ihrer Meinung keine Lösung, da sich die Mieten, wie 2009 passiert, an die Erhöhung anpassten.
Auf die Konsequenzen eines Umzuges verweist Axel Bielefeldt (Die Linke), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Senioren. Für ihn ist wichtig, dass die Menschen nicht aus ihrem Wohnumfeld gerissen werden. „Vor allem bei älteren Menschen spielt das Problem der Vereinsamung eine große Rolle“, sagt Bielefeldt. Doch auch für Kinder sei es wichtig, ihr soziales Umfeld nicht zu verlieren und auf derselben Schule bleiben zu dürfen.
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