Was machen wir hier eigentlich?

von Brigitte Preissler 7. Januar 2012

Dies und vieles andere war die große Frage – im Ballhaus Ost, bei der Berlinpremiere von Helene Hegemanns „Lyrics“

Als Helene Hegemann 2010 im Ballhaus Ost „Axel hol den Rotkohl“ inszenierte, war ihr – im Gefolge der Plagiatsdebatte um ihren Debütroman „Axolotl Roadkill“ – die Aufmerksamkeit der gesamten deutschen Presse sicher. Der Besucherandrang bei der Berlinpremiere ihres neuen Stückes „Lyrics. Dieses Gedicht wurde vor ca. 20.000 Jahren geschrieben und ist immer noch aktuell“ hingegen war zumindest bei der Vorstellung am gestrigen Freitag überschaubarer. 

Hegemann schrieb das Stück auf Anregung von René Pollesch, führte Regie und wirkte auch selbst auf der Bühne mit. Die eher familiäre Atmosphäre schien sie zu genießen, gab sichtlich lustvoll einen rasant gesprochenen Wortschwall nach dem anderen von sich und schien dabei ganz in ihrem Element. Dass sie sich auf einer Theaterbühne so zu Hause fühlt wie andere auf ihrem Wohnzimmersofa, merkt man der Tochter des Ex-Volksbühnen-Dramaturgen Carl Hegemann eben an. 

Alles beginnt mit einem Liebespaar, das sich lauthals beschimpft. Doch halt, plötzlich geht ein Regisseur dazwischen, kommentiert und korrigiert. Und als man eben kapiert, es war alles nur Spiel, heißt es schon wieder: Stopp! Eine weitere Regisseurin namens „Twopence“ – alias Helene Hegemann – tritt aus den Zuschauerreihen auf die Bühne und stellt wiederum klar, wie sie sich die Szene eigentlich vorstellt. 

 

Spiel im Spiel im Spiel

 

Mit diesem Spiel im Spiel im Spiel wäre also gleich zu Beginn ein komplexes Labyrinth der Deutungsebenen installiert. Naturgemäß blickt deshalb während der restlichen Aufführung kein Mensch mehr durch, auf welcher dieser Ebenen nun gerade wieder agiert wird. Und genau das ist offenbar das Ziel: Jeden Verständnisversuch, jede Zuschauererwartung und jede Interpretationsmöglichkeit von vornherein ad absurdum zu führen. Da geht es mal um Musik im Allgemeinen, mal um die Siebziger im Besonderen, am Schluss wird eine Art Hamlet-Fragment zum Besten gegeben, fröhlich werden die Themen durcheinandergewurstelt. 

Wenn sich die Akteure dann wieder, selbstreflexiv, über Theater unterhalten („Was machen wir hier eigentlich?“), scheint es unter ihnen indes einen gewissen Konsens zu geben: Nicht um Handwerk, sondern um Haltung gehe es dabei, heißt es wiederholt; zugerichtete, trainierte Schauspieler, die auf Kommando ihr Gesicht verziehen könnten, gäben doch allenfalls passable Zirkusattraktionen ab. 

 

Theaterspiel und Bauklötze

 

„Ich bin ich, und ich verhalte mich spielerisch,“ so lautet das Darsteller-Credo, es gibt keinen Unterschied zwischen Theaterspiel und dem kindlichen Aufeinandersetzen von Bauklötzen. Man braucht demnach rein gar nichts zu können, um auf einer Bühne zu stehen – womit jegliche Kritik an der konkreten Darbietung, insbesondere an der naturgemäß mittelmäßigen Schauspielkunst fast aller Beteiligten, natürlich von vornherein nonchalant ausgehebelt wäre.

Auch „Lyrics“ spielen in „Lyrics“ eine Rolle, Songtexte also. Meistens läuft Punkrock, und zwar ziemlich laut, dazu sind auf zwei Leinwänden scheinbar willkürlich aneinandermontierte Filmsequenzen zu sehen – ähnlich wie seinerzeit auf Viva oder MTV. Für diese Videos und Lichteffekte zeichnete Kathrin Krottenthaler verantwortlich, die bis 2010 im Team von Christoph Schlingensief mitwirkte. 

 

Das gute alte Musikvideo ist wieder da

 

Wer sich schon länger mal gefragt hat, was eigentlich aus dem guten alten Musikvideo geworden ist, dem sei angesichts dieser bunten Bildcollagen gesagt: Es ist aus dem Fernsehen auf die Theaterbühne umgezogen, Helene Hegemann hat ihm in ihrer Inszenierung ein neues Zuhause gewährt. Analog zum Theaterspiel, wurde dabei von den Bühnenaktivisten übrigens auch im musikalischen Bereich die Frage des Könnens als restlos irrelevant angesehen. Oder, wie „Twopence“ verlautbarte: Wichtig sei nicht, ob man gut Gitarre spielen könne, sondern wie cool man sie sich umgehängt habe. 

Es herrschte, kurz gesagt, die heiterste Anarchie im Ballhaus Ost. Dass das nicht anstrengend wurde, lag an der mit einer guten Stunde angenehmen Kürze des Abends, der, im Gegensatz zu Hegemanns hochumstrittenem Prosadebüt, weder zu Häme noch zu überbordenden Begeisterungstürmen Anlass gab. Die angemessenste Reaktion ist wohl ein gelassenes Interesse – an der quirligen, experimentierfreudigen Gesamtperformance einer zweifellos talentierten Neunzehnjährigen. 

Vorerst letzte Aufführung am heutigen Samstag, den 7. Januar um 18 Uhr im Ballhaus Ost, Pappelallee 15.  Karten zu 13/8 Euro unter 440 39 168 oder unter karten@ballhausost.de

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