Im Straßenverkehr machen immer alle alles falsch, außer ich. Warum der Mensch so denkt und Diskussionen zum Thema immer sehr emotional verlaufen? Ein Psychologe gibt Auskunft.
Das Verhalten anderen Verkehrsteilnehmer ist ein emotionales Thema. Das zeigte sich zuletzt am vergangenen Montag, als wir auf unserer Seite über die neuen überdimensionalen Verkehrsschilder berichteten, mit denen der Bezirk rasante Autofahrer in die Schranken weisen will. Kaum war der Artikel online, war die Diskussion bei Facebook schon in vollem Gange: Das eigentliche Sicherheitsproblem seien doch die rüpelhaften Radfahrer, sagten die Einen. Und die Prenzlberg-Muttis mit ihren Kastenwägen erst, schrieben die Anderen. Ja, aber die Autofahrer, meinten die Dritten. Einigkeit herrschte nur in einem Punkt: Diejenigen, die die Fehler machen, das sind immer die anderen. Doch warum ist das eigentlich so?
Peter Walschburger ist Psychologieprofessor und arbeitet am Fachbereich Biopsychologie an der Freien Universität. Dass die Diskussion über richtiges Verhalten im Straßenverkehr so emotional verläuft, findet er sehr verständlich. Schließlich stehe man ordentlich unter Stress, wenn man in einer Großstadt wie Berlin unterwegs sei, egal ob mit dem Auto, zu Fuß oder per Rad. „Man ist zum Beispiel im Feierabendverkehr unterwegs und möchte einfach nur möglichst schnell nach Hause“, erklärt Walschburger. Da versuche jeder, für sich einen kleinen Vorteil herauszuschlagen. Jeder andere Verkehrsteilnehmer würde dabei als Behinderung wahrgenommen, auf die man dann einer Stresssituation angemessen extrem reagiere.
Wer es besser hätte machen können, dem verzeiht man ungern
„Wir unterstellen, dass alle anderen bewusst unfair handeln“, sagt Walschburger. Dies potenziere den Aggressionsfaktor noch einmal. So hätten Tests bewiesen, dass Menschen wesentlich gelassener damit umgingen, wenn etwa Computer Fehler machten. „Bei Menschen gehen wir aber davon aus, dass sie es besser hätten machen können. Darüber ärgert man sich besonders.“
Hinzu käme die Anonymität der Großstadt. Wer einen Bekannten beim Radeln auf dem Gehweg erwische, reagiere meist gelassener als gegenüber einem Fremden, meint der Psychologe. Darüber hinaus könne man im Straßenverkehr meist nicht einmal das Gesicht des anderen Verkehrsteilnehmers erkennen. Dabei sei das zur Vermittlung von Stimmungen ausschlaggebend. „Wer sein Gesicht hinter Autofenstern verbirgt, kann seine eigene Befindlichkeit nicht entsprechend signalisieren. So wird dem Gegenüber die Gelegenheit genommen, entsprechend darauf zu reagieren, wie es sonst beim menschlichen Aufeinandertreffen üblich ist.“ Meist reiche es schon aus, aus dem Auto auszusteigen und sich ins Gesicht zu sehen, um den Konflikt zu entschärfen. Doch dazu komme es eben meist nicht.
Statt dessen nimmt man den Vorfall mit nach Hause und zu Freunden, und statt sich irgendwann mit der Situation zu versöhnen, wird der Ärger nur immer neu geschürt. „Jedes Mal, wenn man die Geschichte erzählt, gerät man unter Rechtfertigungsdruck“, sagt Walschburger. So würden die Extreme des Erlebten noch mehr herausgearbeitet, was auch erklärt, warum selbst eine Diskussion Wochen später bei Facebook noch mit so viel Wut im Bauch geführt wird.
Die Straße, kein Ort für Empathie
Was allen Beteiligten in solchen Situationen abgeht, ist das Verständnis füreinander. Schließlich haben die allermeisten Menschen einen guten Grund für ihr Handeln – ob es der Radfahrer ist, der vor rasenden Autos auf den Fußweg flüchtet, der Autofahrer, der mit dem kaputten Vorderlicht nur schnell noch in die Werkstatt will oder der Fußgänger, der die Markierung des Radwegs im Dunkeln übersehen hat. „Aber die Empathie, zu der der Mensch in kleinen Gruppen so gut fähig ist, setzt im Stress der Großstadt aus“, sagt der Experte. Wirklich rücksichtsvoll würden die meisten erst, wenn sie selbst einmal zu Schaden gekommen seien.
Dabei könnten wir alle eigentlich viel entspannter sein: Schließlich gerät man zwar in die ein oder andere brenzlige Situation, wenn man in Prenzlauer Berg im Straßenverkehr unterwegs ist. Die allermeisten Erlebnisse sind aber positiv. Nur speicherten wir diese einfach nicht ab, sagt Walschburger. So schafft es ein Radfahrer ohne Licht den Ruf von hunderten anderen, die vorschriftsmäßig beleuchtet unterwegs sind, zu ruinieren.
Auch ein Thema, über das man sich mal ordentlich aufregen könnte.
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