Beten zu Karel Gott

von Brigitte Preissler 17. November 2011

In Ludek Pezek Pachls Ladengalerie „Tuzex“ gleicht Tschechien einem Wunderland voll märchenhafter Geschichten und drolliger Tierchen, sowie der entsprechenden Merchandising-Produkte.

Die typische Berliner Touristenfalle – danach sieht das Ladengeschäft „Tuzex“ wohl auf den allerersten Blick ein bisschen aus. Kinderspielzeug mit 70er-Jahre-Anmutung, fremdartige Lebensmittel aus ehemaligen Ostblock-Ländern, mancher unverbesserliche Ostalgiker wähnt sich da womöglich prompt unter seinesgleichen. Ein Schild ermahnt Fußgänger, sie mögen doch bitte, wenn sie eins der draußen feilgebotenen Objekte fotografieren, dafür „spenden“ oder etwas im Laden kaufen. Machen so was nicht bloß Souvenirjäger? Ist Ludek Pezek Pachl, der Inhaber, womöglich ein Kollege dieser Uniformmützen- und Gasmasken-Verkäufer, die immer am Checkpoint Charlie herumstehen?

Mitnichten. Auf den zweiten Blick merkt nämlich auch der spät geborene Wessi, dass der Laden, wenn überhaupt, allenfalls einer typischen Prager Touristenfalle ähneln könnte. Im Schaufenster hängt nämlich gar nicht Erich Honecker, sondern Gustáv Husák, der ehemalige Staatspräsident der ČSSR. Als Mittagstisch wird nicht Soljanka, sondern Gulasch angeboten, und auch bei der restlichen Auslage handelt es sich nicht um alten DDR-Kram, sondern um tschechische Devotionalien. Etwas ältere Passanten wissen vielleicht  noch, dass einst eine Handelskette in der ehemaligen Tschechoslowakei „Tuzex“ hieß, der Name ist von „tuzemský export“ abgeleitet. Pachl (der, wie er betont, gar nicht aus Prag stammt, sondern 1971 in Stary Most, dem heutigen Most geboren wurde) erklärt, dass das so viel wie „inländischer Export“ bedeutet. Die Tuzex-Geschäfte waren die Intershops der Tschechoslowakei.

 

Wo Karel Gott ist, darf die Biene Maja nicht fehlen

 

Schauen wir noch etwas genauer hin: Um welche „Czech specialities“ geht es hier? Zuallererst offenbar um Karel Gott. Pachl hat ihm einen ganzen Altar gewidmet, den er täglich vor seine Ladentür hängt. „God save Karel Gott“ steht da neben alten Fotos, dazu Kerzen und Plastikblumen. Wo Karel Gott ist, darf die Biene Maja natürlich nicht fehlen. Und wo die Biene Maja ist, kann auch der kleine Maulwurf nicht weit sein, tatsächlich tollt gerade er in allen Variationen in den Verkaufsregalen herum: Als Plüschtier, auf Kinderkoffern und Bettwäsche, auf Memory-Spielen und Wandbildern, er scheint eine Art Laden-Maskottchen zu sein. Gleich neben den Adventskalendern für Kinder liegen die für Erwachsene, mit halbnackten Frauen drauf. An der Wand hängt ein Pan-Tau-Plakat, es gibt Biere und Karlsbader Oblaten. Und Waffelröllchen zum Film „Drei Nüsse für Aschenbrödel“, ein Produkt der thüringischen Firma Rotstern. Selbstverständlich mit Haselnusscreme gefüllt. 

Nein, jegliche Kalter-Kriegs-Sentimentalität ist dem Ex-Punk Pachl ganz offensichtlich fremd. 1998 kam er nach Berlin, im August 2011 zog er mit seinem 2010 eröffneten Laden von der Sredzki- in die Schliemannstraße um. Nach seinem Geschäftskonzept zu urteilen, ist Tschechien vor allem eine Kindheitserinnerung: Ein kunterbuntes Wunderland voll märchenhafter Geschichten und drolliger Tierchen, sowie der entsprechenden Merchandising-Produkte. Kommunistische Staatspräsidenten gehören halt auch irgendwie mit dazu, sind vielleicht so etwas wie die bösen Wölfe dieser Märchenwelt. Doch am Ende behalten die lachenden Bienchen und Maulwürfe die Oberhand.

 

Playboy-Hasen, Nachtfalter, Handschellen

 

Auf Pachls Flyer ist zudem von „Art Gallery“ die Rede. Der künstlerische Autodidakt Pachl stellt eigene Arbeiten aus, die er übrigens auch auf www.rebelart.de präsentiert. Rot-schwarz-weiße Ikonen malt er in Acrylfarben auf Leinwand, Playboy-Hasen, Nachtfalter, Herzen, Handschellen. Seine Installationen sind entschieden witziger: Etwa die alten Fernseher, die er entkernt, mit Spejbl-und-Hurvínek-Figuren bestückt und mit Titeln wie „Gegen Nazi (sic), gegen Kommunismus“ oder auch „Napoli Camorra Mafiosi“ versieht. Er verkauft sie für 700 bis 1200 Euro. 

Der Eintritt zu seinen Filmabenden ist aber frei: „Jeden Donnerstag ab 18 Uhr tschechisches Kino!“, verlautbart seine Werbung. Donnerstag, das ist heute, es geht aber ausnahmsweise erst um 19 Uhr los, wie er sagt. „Krabat“ in einer Verfilmung des tschechischen Regisseurs Karel Zeman will er zeigen. Um den deutsch-tschechischen Austausch geht es ihm dabei, um die Verbesserung von Sprachkenntnissen und das gegenseitige Kennenlernen. Zwar hängt mitunter ein Schild „Geschlossene Gesellschaft“ an der Ladentür, es soll aber nur Laufkundschaft abhalten, die nicht zu dem Treffen will. Jeder, der Lust hat, kann also hingehen und mit Pachl ein schönes Budweiser trinken. Und zu Karel Gott beten. 

Tuzex, Schliemannstraße 38. Geöffnet dienstags bis freitags von 12 bis 19 Uhr, samstags 12 bis 18 Uhr.

 

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