Jürgen Hohmuths Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen einen grauen, schuttgesäumten, aber auch sehr geselligen Alltag in Prenzlauer Berg zwischen 1980 und 1990.
Fast könnte man meinen, es hätte vor dreißig Jahren noch keine Farben gegeben in Prenzlauer Berg. Kein Blau, kein Gelb, kein Grün. Höchstens etwas Rot, allerdings eher ein politisches als eines mit richtigen Pigmenten. Das Leben in der DDR war schwarz-weiß – zumindest sieht es für Nachgeborene so aus, die sich heute mit Hilfe von Fotografien und/oder Büchern ein Bild davon machen wollen. Etwa der Foto-Bildbände von Bernd Heyden, Eberhard Klöppel und Gerd Danigel aus dem Leipziger Lehmstedt-Verlag, die Gustav Seibt unlängst an dieser Stelle besprochen hat. Aber auch Roger Melis und Harald Hauswald, Arno Fischer, Sibylle Bergemann oder Helga Paris benutzten, wenn sie das Leben im Osten Deutschlands fotografierten, oft Schwarz-Weiß-Filme. Für Profifotografen war die Qualität des sozialistischen Farbfilms eben einfach nicht gut genug, auch unter Amateurknipsern kam er als luxuriöse Extravaganz eher selten zum Einsatz. Also prägt eben die Farbe Grau unser heutiges Verständnis des Sozialismus: Die Schriftstellerin Kathrin Schmidt etwa erzählt in ihrem Vorwort zu Jürgen Hohmuths Foto-Bildband über Prenzlauer Berg, ihr jüngster, 1995 geborener Sohn habe sich die DDR tatsächlich lange farblos vorgestellt.
Ein Leben mit Trauerrand?
Auch Hohmuth lebte in diesem scheinbar vormodernen Land, in dem Maler oder Zeichner, nicht aber Fotografen das Bunte abbildeten. Er zeigt eine uralte, ferne Epoche, in der noch Pferdegespanne und Raketenpanzer auf Ost-Berlins Straßen herumfuhren: Die 1980er Jahre. Man ist geneigt, sich den kohlebeheizten Alltag damals als einen unendlich düsteren, tristen vorzustellen; als ein Leben mit Trauerrand, schließlich war Kalter Krieg. Die vergnügten, feiernden Menschen auf einigen Bildern irritieren einen da regelrecht; was, bitteschön, gab es in der DDR schon zu lachen?
Nun, da waren zum Beispiel die Hoffeste, bei denen sich langhaarige Menschen an den Händen fassten und im Kreis tanzten. Es gab Frauen, die auf dem Falkplatz ein Sonnenbad im Bikini nahmen – mit Mauerblick. Wie überall auf der Welt hängten auch in Prenzlauer Berg heiratende Paare lustig scheppernde Konservendosen an ihre Autos, und Bauarbeiter gafften kurz berockten Mädchen nach. Im Pratergarten traf man sich schon damals gern auf ein Bier, am Wasserturm spielten Kinder mit ausrangierten Wohnzimmersesseln. In der Kuglerstraße hielten Nachbarinnen ein Schwätzchen von Balkon zu Balkon, und wenn Gorbi mal zu Besuch kam, war Fröhlichsein eh Pflicht.
Ausstellung im Heimwerkerladen
Hohmuth hat vor allem das Soziale im Blick; die Feste und Theateraufführungen, die Straßen-Pläuschchen, die Schlangen vor den Geschäften. „Das war einfach meine Umgebung, waren meine Freunde,“ sagt er. Prenzlauer Berg ist seit 1980 die Wahlheimat des gebürtigen Köpenickers. Lange wohnte er in der Kuglerstraße, fotografierte oft vom Balkon seiner damaligen Wohnung aus. Wie tief verwurzelt er im Kiez tatsächlich ist, merkt man zum Beispiel daran, dass derzeit sogar das Schaufenster des Heimwerkerladens „Max Werk“ in der Stargarder Straße mit seinen Bildern dekoriert ist, auch das Buch nebst passendem Kalender für 2012 wird dort verkauft. Als gelernter Forstarbeiter und Zapfenpflücker scheint Hohmuth, Jahrgang 1960, also bis heute eine ausgesprochen handwerkliche Ader zu haben. Als Fotograf ist er Autodidakt: Eberhard Klöppel bestärkte ihn einst darin, mit der Fotografie ernst zu machen. Helga Paris, Sibylle Bergemann und Arno Fischer, die er zunächst als Freund ihrer Kinder kennenlernte, nahmen ihn später unter ihre kollegialen Fittiche. 1981 brannte Hohmuths Fotoarchiv ab; aus den Jahren danach stammen die Bilder des neuen Bandes, „es war die spannendste Zeit.“
Fast möchte man es ein Glück nennen, dass er damals noch nicht in die Antarktis oder ans Kap Horn reisen konnte. Nichts gegen die wirklich spektakulären Aufnahmen, die er heute dort und an anderen fernen Orten macht – teilweise mit Hilfe eines Luftschiffs –, und die er mit zwei Kollegen unter dem Label des in der Kopenhagener Straße ansässigen Fotografenbüros „Zeitort“ veröffentlicht. Aber bis 1990 hielt Hohmuth eben, notgedrungen, gerade hier und nirgendwo anders seine Fotoausrüstung bereit und die Augen offen. Und kann dadurch das Bild des alten Prenzlauer Berg, das wir aus den Lehmstedt-Bänden kennen, um eine weitere, wichtige Facette ergänzen.
Buchpräsentation und Ausstellungseröffnung am 21. November um 20 Uhr im Georg-Büchner-Kunstbuchladen, Wörther Straße 16, Eintritt frei, Infos hier.
Jürgen Hohmuth: 1055 Berlin. Fotos aus dem Prenzlauer Berg 1980-1990. Mit einem Essay von Kathrin Schmidt. Edition Braus, 127 Seiten, 29,95 Euro.
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