Die Wahlplakate sind so langweilig, dass sich selbst die sonst unermüdlichen Street-Artisten nicht damit auseinandersetzen. Rühmliche Ausnahme bleibt die Piratenpartei.
Ich mag mich irren, aber meiner Meinung nach haben diese Wahlplakate, von deren Nichtssagenhaftigkeit hier ja schon an anderer Stelle die Rede war, nur einen einzigen Sinn: Alle Menschen ohne Zeitungsabo, Fernseher oder Internetanschluss darauf hinzuweisen, dass diese Wahl überhaupt stattfindet. Was in Prenzlauer Berg auf eine Zielgruppe von etwa drei bis fünf Personen hinauslaufen dürfte. Viel mehr Informationen kann man nämlich schlecht gewinnen aus freundlich lächelnden Gesichtern, die sich entweder damit brüsten, Berlin zu verstehen oder alternativ gleich verstanden zu haben.
Bei solchen Voraussetzungen treten in Berlin normalerweise gleich die Menschen auf den Plan, die sich eine kindliche Bastelfreude zu erhalten wussten und in ihrer Freizeit gerne mal die Raumerstraße in die Träumerstraße und die Pappel- in Zappelallee umbenennen, lustige Einladungen an die Anwohner der Choriner Höfe verschicken oder über einfache Klingenschilder sprühen, dass folgende Mitbürger zum Klassenkampf aufgerufen werden. Doch in diesem Fall haben sogar sie versagt: Ein paar handelsübliche Bärte, wenige aufgemalte Brillen und ein paar Tags, das war es mit den Kommentaren der Street-Art-Künstler zum Berliner Wahlkampf.
Das mag zum einen daran liegen, dass es halt aus dem Wald herausschallt, wie man hineinruft, und das ist nunmal alles eher langweilig. Was man, zum anderen, vielleicht am besten dadurch entlarvt, indem man die Plakate einfach unbeachtet und unverändert seinem Schicksal überlässt. Wie soll man auch ironisch überhöhen, dass die FDP glaubt, Croissant sei die Übersetzung von Schrippen? Dennoch wäre ein wenig mehr Kreativität schon schön.
Selbstironie, die bedrohte Spezies
Zum Glück gibt es aber die Piraten. Was an dieser Stelle keine politische Aussage ist, sondern einfach nur der Hinweis, dass diese Selbstironie erfrischend ist, mit der sich Christopher Lauer unter sein mit Nerdbrille versehenes Konterfei zu schreiben traut: „Keine Experimente. Piratenpartei.“ Oder mit der er per Laternenpfahl-Anzeige nach Umzugshelfern ins Abgeordnetenhaus sucht.
„Matthias Köhne – aufgrund der großen Nachfrage verlängert bis 2016“, wäre doch ein schöner Slogan gewesen. Oder „Jens-Holger Kirchner: Alles sauber. Also rein ins Rathaus Pankow“, für den Erfinder des Hygiene-Smileys. Und auch die Pankower FDP hätte ruhig mutiger sein und ihr „90 Knöllchenschreiber und 9 Lebensmittelkontrolleure“ um „und bald kein Liberaler mehr in der BVV, wenn sie nichts dagegen tun“ erweitern können.
Nein, das sind alles nicht die ganz großen Brüller, aber ich bin ja auch kein Street-Artist und außerdem ist meine Druckerpatrone mal wieder leer. Aber vielleicht fühlt sich ja noch jemand berufen, der sich mit sowas auskennt, und verleiht der großen Papierschlacht an den Laternenpfählen wenigstens noch ein wenig Sinn, bis alles Ende September in den Müll wandert.