Monster von gestern, Monster von heute

von Brigitte Preissler 25. August 2011

Astrid Rosenfeld findet es selbst etwas erstaunlich, dass ihr Debütroman „Adams Erbe“ es jetzt auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis schaffte. Mit uns sprach sie über diesen spektakulären Erfolg. 

Edward ist einer von uns. Edward verkauft Stoffmonster, er lebt nicht schlecht davon. Ende der 70er Jahre in Berlin geboren, könnte er heute in Prenzlauer Berg leben, warum nicht, viele sind hier wie er. Tatsächlich existiert er allerdings nur in „Adams Erbe,“ einem Romanerstling, der es jetzt auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. Seine Erfinderin, Astrid Rosenfeld, lebt seit gut zehn Jahren hier im Kiez – erst in der Hagenauer, dann in der Winsstraße. Und irgendwie erkennt man ihn eben wieder, ihren Edward; Rosenfeld hat ihn vielleicht aus den Eigenschaften vieler, vieler Typen zusammengesetzt, die ihr irgendwann mal hier begegneten.

 

Kein Stipendium, keine Schreibwerkstatt, keine Kontakte

 

Astrid Rosenfeld sitzt jetzt im „Gilka“ in der Immanuelkirchstraße. Diese Kräusellocken, diese knallroten Fingernägel, diese großen braunen Augen wird man in diesem Bücherherbst wohl noch öfter zu sehen bekommen. Schließlich ist bald Buchmesse, außerdem geht sie im September auf Lesereise. Und es ist ja kein unbedeutender Verlag, bei dem ihr Roman im Februar erschien: Gewissermaßen aus dem Stand, ganz ohne strategische Kontakteknüpferei, ohne je ein einziges Stipendium erhalten oder eine Schreibwerkstatt besucht zu haben, kurz: Ohne den Literaturbetrieb jemals auch nur mit dem kleinen Zeh touchiert zu haben, hat sie dem Schweizer Diogenes Verlag nun gleich einen spektakulären Erfolg beschert. Hätte noch vor ein paar Wochen jemand mit ihr gewettet, ob ihr Buch es auf diese Liste schaffen würde – sie hätte, wie sie lachend erzählt, ohne zu zögern 2000 Euro dagegen gesetzt. „Und meine Wohnung obendrauf.“ 

 

Das Unvorstellbare wird vorstellbar: Vom Schreiben leben

 

Unvorstellbar, unerreichbar – für die 1977 in Köln geborene Wahl-Berlinerin war das Schriftstellerdasein eben lange keine Option. Nach dem Abitur sammelte sie zunächst Theatererfahrungen in Kalifornien, fing in Berlin eine Schauspielausbildung an – und brach sie wieder ab. Sie arbeitete als Casterin in der Filmbranche, immerhin für Kinofilme wie „Muxmäuschenstill“ (2004, Regie: Marcus Mittermeier) und „Knallhart“ (2006, Regie: Detlev Buck). Doch mittlerweile kann sie sich das Unvorstellbare tatsächlich vorstellen: Vom Schreiben zu leben. Und wenn sie ihre nächsten Geschichten auch nur annähernd so meisterlich erzählt wie ihren knapp vierhundertseitigen Erstling – den sie übrigens in nur anderthalb Jahren schrieb – ist das durchaus kein aberwitziger Gedanke.

Ganz so gewöhnlich, wie er auf den ersten Blick scheint, ist ihr Roman-Edward dann nämlich doch nicht. Einen Großonkel hatte er einmal, Adam, den er zwar nie kennenlernte, an den sich aber jeder aus der Familie bei seinem Anblick erinnert fühlt – Edward ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Von diesem Adam heißt es, dass er während des Zweiten Weltkrieges verschwunden sein soll. Und zwar mitsamt dem kompletten Familienvermögen, das die jüdischen Cohens eigentlich für die Flucht nach England benötigt hätten.  

 

Der Gärtner Hans Franks

 

Von Adam stammen auch die Liebesbriefe, die Edward eines Tages auf dem Dachboden findet. Er schrieb sie im Warschauer Ghetto, an eine gewisse Anna, die sie nie erhielt. Mit Hilfe dieser Briefe zeichnet Astrid Rosenfeld im zweiten Teil des Romans  Adams abenteuerlichen Lebensweg nach. Wir erfahren, wie er sich in die Jüdin Anna verliebte, die in der Reichspogromnacht 1938 verschwand, und wie er ihr mit gefälschten Papieren ins besetzte Polen hinein folgte. Getarnt als Rosengärtner des „Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete“, Hans Frank, versuchte er mit allen Mitteln herauszufinden, wo Anna steckte.

Astrid Rosenfeld erzählt zwei Lebensgeschichten, die sich ineinander spiegeln, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Äußerlich ähneln sich Adam und Edward, sie wachsen im gleichen Haus auf. Und obwohl sie in denkbar gegensätzlichen Epochen leben, kommen der Verstorbene und sein Großneffe einander schließlich überraschend nahe. 

Die Autorin selbst stammt übrigens nicht aus einer jüdischen Familie. Darf sie das überhaupt, als Nachgeborene einen Ich-Erzähler mitten ins Zentrum des Holocaust hinein führen? Und diese Geschichte dann auch noch humorvoll erzählen? Was für ein Glück, dass sie an diese Fragen während des Schreibens nicht den leisesten Gedanken verschwendet hat. 

Astrid Rosenfeld, Adams Erbe. Diogenes 2011, 385 Seiten, 19,95 Euro.

 

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