Die Winzer vom Prenzlauer Berg, Teil II

von Cosima Lutz 14. Juni 2011

In Berlin erlebte der Weinbau seine Blütezeit vor 500 Jahren, dann kam das Ende. Lesen Sie in Teil II, wie die Rebe in den Prenzlauer Berg zurückkehrte.

Dass Wein und Berlin so gut zusammenpassen, hat auch hygienische Gründe. Gerade in Großstädten war der Wein – neben Bier – für den Flüssigkeitshaushalt unentbehrlich, denn das Wasser war oft verschmutzt und eigentlich nur Nutztieren zugedacht. Zur Blütezeit des märkischen Weinbaus im 15. und 16. Jahrhundert, schreibt unser Weinbergs-Führer Frank Pietsch in der „Weinkarte“ (Edition Terra, 4 Euro), habe Berlin über 96 Weinberge und -gärten verfügt, die meisten davon entlang der Barnim-Hangkante zwischen dem heutigen Weinbergsweg und der Weinstraße. Bei üppiger Ernte wurde kräftig nach Schweden, Polen und Russland exportiert. Einheimischer Wein war zeitweise sogar billiger als Bier. Doch dann war erst mal Schluss: Im Dreißigjährige Krieg wurden die Rebstöcke plattgemacht, und das Wissen um den Weinbau starb wortwörtlich aus.

 

Der Neuanfang ging 1968 von Kreuzberg aus

 

Das beherzte Anpacken fragwürdiger Projekte war aber auch späteren Berlinern nicht auszutreiben. So versuchte etwa der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm, der von 1640 an regierte, den Neuanfang im Weinanbau, denn der wärmende, trockene Sandboden war und ist bestens dafür geeignet.

Doch die so genannte „Kleine Eiszeit“, die bis ins 19. Jahrhundert zu spüren war, machte alle Versuche zunichte, etwa der lange, harte Winter 1740. Frost an sich ist noch nicht das Problem. „Aber ein dauerhaft gefrorener Boden lässt die Wurzeln vertrocknen“, erklärt Frank Pietsch, der auch Vorsitzender des Fördervereins Weingarten Berlin e. V. ist. In der Folge schrumpften die Anbauflächen, das Winzern wurde unrentabel, 1912 das Restaurant „Zum Weinberg“ am Weinbergsweg an der Bezirksgrenze zu Prenzlauer Berg abgerissen und damit auch die letzten Rebstöcke gerodet.

Es sollte bis ins drogenfreundliche Jahr 1968 dauern, bis der gewerbliche Weinbau in Berlin wieder eine ernsthafte Chance bekam. Den Anfang machte Kreuzberg. Die Partnerstadt Wiesbaden schenkte den dortigen Weinenthusiasten Rebstöcke, die bis heute zum Keltern in die hessische Hauptstadt gefahren werden. Es folgten unter anderem das Britzer Weingut in Neukölln und der Wilmersdorfer Stadionwein an den nördlichen Tribünen der dortigen Sportstätte, insgesamt zehn Standorte gibt es heute in Berlin.

 

Von der Brachfläche zum Bacchus-Idyll – dank Grünbauamt

 

Und Prenzlauer Berg? Hier, erzählt uns Frank Pietsch, sei es der damalige Leiter des Grünbauamts, Wolfgang Krause, gewesen, der 1999 die Idee hatte und 400 Rebstöcke auf einer ehemaligen Brachfläche am Volkspark Prenzlauer Berg ansetzen ließ. 2003 konnte der erste „Berliner Riesling“ gekeltert werden, und 2005 legten der Bezirk Pankow und der neu gegründete Förderverein „Weingarten Berlin e.V.“ (damals bestehend aus zehn Mitgliedern) gemeinsam mit Wiener Weingütern das „Weingart’l“ am Wasserturm an: einen „Gemischten Satz“, bestehend aus Riesling, Chardonnay und Grünem Veltliner.

Während jener Garten vor allem auch als Freiland-Museum dient, werden die am Volkspark geernteten Reben im Meißner Weinhaus des Prinzen zur Lippe gekeltert und abgefüllt. Inzwischen ist auch ein Gärtchen vor einem Schweizer Restaurant in Mitte hinzugekommen, bestehend aus zwölf Stöcken der alten Sorte „Regent“.

Aber mit dem Riesling hier am Rande des Volksparks Prenzlauer Berg habe man sich „das Vornehmste ausgesucht“, sagt Pietsch. Der sei zwar pflegeaufwendig, habe aber den Vorteil, dass er erst spät im Oktober geerntet werde und lange reifen könne. Was wichtig ist in nördlichen Regionen. „Das heißt aber nicht, dass wir deshalb Eiswein ernten“, schmunzelt er. Mit Weinbau-Amateuren kennt er sich aus, er ist ja selbst einer, die meisten dummen Fragen ahnt er voraus.

 

Hobbywinzer wollen jede Beere retten

 

Im Prinzip ist es ganz einfach, die Umsetzung sieht dann oft etwas anders aus. „Die Kunst des Winzers besteht darin, nach extremen Witterungen die Ausgleichs-Bestrebungen der Pflanze zu beeinflussen“, erklärt Pietsch. Während der Wilde Wein ein „Selbstklimmer“ sei, müsse man die Kulturform in ihrem Wachstum steuern. Also fördern und fordern? „Ja“, er lacht. Neben Laub seien immer auch einige Beeren wegzuschneiden. „Hobbywinzern ist das immer schwer beizubringen“, seufzt er, „die wollen jede Beere retten“. Er schätzt, dass in diesem Herbst 400 Kilo geerntet werden. Im Rekordjahr vor zwei Jahren gaben die Weinstöcke eine ganze Tonne her, was etwa 1200 Halbliter-Flaschen entspricht.

Aber es geht beim Wein ja ohnehin nicht um die Masse. Außerdem verbietet die Vereinssatzung den wirtschaftlichen Gewinn als oberstes Ziel. Einen Teil des Kontingents erhält der Bezirk „für besondere Anlässe“, der Rest verbleibt im Verein. Die etwa 30 Mitglieder, „eine angenehme Mischung“ aus Landschaftsarchitekten, einer schottischen Studentin und Ehrenamtlichen jeden Alters und Berufs, treffen sich wöchentlich hier und lernen, wie man den Wein stützt und stutzt, etwa wie man ihn „gipfelt“, also überschüssiges Blattwerk oben entfernt, damit die Pflanze sich bei ihren Bestrebungen schön auf die Beeren konzentriert.

 

Kein Bio-Wein, aber aus der Region

 

Und bekommt sie dafür eigentlich auch das Bio-Label? Bei diesem Stichwort wird Pietsch ein wenig ungnädig: „Nein. Alle Winzer spritzen, auch Biowinzer“. Er achte aber sehr auf die Dosis und die richtigen Mittel. „Wenn die Pflanzen von etwas betroffen sind, das wir nicht kennen, hilft uns der Kellermeister in Meißen“. Die Berliner schicken Fotos, die Meißner die passende Substanz. Völkerverständigung steht nämlich auch ganz weit oben in der Satzung der Prenzlauer Berger Winzer.

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Der Artikel ist ursprünglich am 14.06.2011 erschienen.

 

Aktuelle Termine: Am 16. Oktober 2016 lädt der Verein Weingarten Berlin e.V. zur öffentlichen Weinlese in den Volkspark Prenzlauer Berg. Die nächste Führung  „Wasser und Wein“ am Wasserturm findet am 29. Oktober 2016 statt. Informationen unter  030/ 44 09 276 (Weingarten Berlin) und www.berliner-riesling.de .

 

 

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