Studenten aus Skandinavien und Wien haben in Carsten Seiffarths „singuhr –hoergalerie“ zwei neue Klanginstallationen realisiert – und den Wasserspeicher damit in eine echte Klanghölle verwandelt.
Im Eingangsbereich hängt eine blaue Plastik-Planschmuschel von der Decke. Ein paar Schritte weiter baumelt eine verrostete Autotür, daneben eine Gießkanne im schummrigen Licht. Dank eines Workshops von Studenten des Kopenhagener Master-Studiengangs „Nordic Sound Art“ hat sich der Kleine Wasserspeicher vor kurzem in ein pittoreskes Schrott-Kabinett verwandelt. Hier hat jedes Ding sein eigenes Geräusch: Riesige Rohre pfeifen mit angegrauten Styroporplatten um die Wette, Blechtonnen und altmodische Apothekenschränkchen geben sich ein konzertantes Stelldichein, sogar eine Gartenlaterne singt mit. Ob ihr sprotzelndes Ächzen nun allerdings zur Komposition gehört, oder ob es sich dabei bloß um das letzte Röcheln eines mit ihr verbundenen, sterbenden Lautsprechers handelt, weiß der Himmel.
Lautsprecher als Instrumente
„Rainforest IV“ heißt die spektakuläre Rauminstallation, ursprünglich erfunden hat sie der amerikanische Musiker und Komponist David Tudor (1926-1996) bereits Mitte der 70er Jahre. Sie gilt als Klassiker der Klangkunst, die skandinavischen Studenten haben sie unter der Leitung des kanadischen Komponisten und Tudor-Spezialisten Matt Rogalsky neu interpretiert. Tudor, ein Weggefährte von John Cage, hatte 1973 die Idee, Lautsprecher einmal nicht nur einfach zur Reproduktion von Tönen zu verwenden, sondern ihnen eine eigene Stimme zu verleihen – sie also gewissermaßen selbst zu Instrumenten werden zu lassen. Technisch ist das mit Hilfe so genannter Transducer oder Körperschallerreger möglich, mittels derer man sich die Resonanzeigenschaften von Gegenständen zunutze machen kann. Je nachdem, an welchem Ding so ein Körperschallerreger hängt, verändern sich die eingespeisten Klänge.
Nun handelt es sich bei dieser Klanginstallation zwar „nur“ um das Ergebnis eines Studentenworkshops; die beiden großen, zehnwöchigen Hauptausstellungen in diesem Jahr (Paul Panhuysens „Voltaic Memory Space“ im Kleinen Wasserspeicher und Andreas Oldörps „Arbeit mit Lager II“ im Großen Wasserspeicher) werden erst Ende Juni eröffnet. Trotzdem lohnt sich der Ausflug zur „singuhr“ schon jetzt, denn parallel zu „Rainforest IV“ wird im Großen Wasserspeicher auch noch eine zweite, nicht weniger spannende Installation gezeigt. Studierende der Computermusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien haben sie eigens für die Architektur und Akustik dieses ungewöhnlichen Raumes geschaffen. „Inferno ma non troppo“ heißt sie; der betreuende Dozent, Wolfgang Musil, nennt sie sogar eine „Klanghölle“. Sie besteht aus 83 unterschiedlichen elektroakustischen Soundfiles, die jeweils nur wenige Minuten lang sind und in immer neuen Konstellationen miteinander kommunizieren. Mit Hilfe eines algorhythmischen Players werden sie mehrkanalig im Raum abgespielt, man hört also nie zweimal dieselbe Komposition.
Eine Parabolschale bringt Erlösung
Wer nun zu diesen Klängen durch die fünf spärlich beleuchteten, konzentrischen Gänge des Wasserspeichers Richtung Mittelpunkt schreitet, fühlt sich ein wenig an die Höllenkreise aus Dantes „Göttlicher Komödie“ erinnert. Das übelste Fegefeuer befindet sich hier allerdings nicht im innersten, sondern im äußersten Kreis: Galeriebetreiber Carsten Seiffarth empfiehlt Besuchern, kleine Kinder lieber an die Hand zu nehmen, weil sie angesichts der teilweise zwanzig Sekunden lang nachhallenden, apokalyptischen Klangflächen schon mal Gleichgewichtsstörungen bekommen könnten. Doch in den inneren Kreisen summen hölzerne Orgelpfeifen, ganz in der Mitte bringt eine von der Decke hängende Parabolschale schließlich die Erlösung: Genau darunter, an einem zentralen Punkt der akustischen Verdichtung, hört man alles gleichzeitig.
Vier bis fünf solcher Ausstellungen realisiert die „singuhr“ jährlich, die meisten bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Musik und Bildenden Künsten, irgendwo zwischen Fluxus, Situationsart, kinetischer Kunst und John Cage. „Die Arbeiten sind immer sehr stark auf den Raum bezogen. Das heißt, wenn sie abgebaut werden, kann man sie so nie wieder erleben,“ so Seiffarth. Seit 1996 hat die Projektgalerie insgesamt über 70 Einzelausstellungen gezeigt. Damit steht die „singuhr – hoergalerie“, die bis 2006 in der Parochialkirche residierte, weltweit ziemlich einzigartig da: Abgesehen vielleicht von der New Yorker Diapason Galerie dürfte es kaum irgendwo einen vergleichbaren Projekttraum geben. Schon durch die beiden aktuellen Installationen wird der ohnehin enorme Besichtigungswert des Wasserspeichers jedenfalls noch erheblich gesteigert.
David Tudor, Rainforest IV. Nordic Sound Art Programme, Kopenhagen, Leitung: Matt Rogalsky. Kleiner Wasserspeicher, Eingang Diedenhofer Straße.
inferno ma non troppo, Klanginstallation in 5 Kreisen. Studierende der Computermusik, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Leitung: Wolfgang Musil. Großer Wasserspeicher, Eingang Belforter Straße.
Beide Ausstellungen sind noch bis 19. Juni zu sehen und mittwochs bis sonntags von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Eintritt 4/3 Euro.