Wer hat mehr Recht auf Platz im öffentlichen Raum, Autos oder Menschen? Ein Beitrag zur Debatte um den Gethsemaneplatz von Carambolagen-Aktivist Frank Möller.
Vor ein paar Tagen beschrieb Martin Müller, Anwohner der Gethsemanekirche, in einem Gastbeitrag seine Sicht der Dinge auf die Arbeit der Bürgerinitiative Gethsemaneplatz, die gerne alle Autos von der Gethsemanestraße verbannen und die Fläche zu einem öffentlichen Platz erklären möchte. Ihm antwortet nun Frank Möller vom Anti-Auto-Aktivisten-Netzwerk Carambolagen.
GASTBEITRAG VON FRANK MÖLLER
Sehr geehrter Herr Müller.
Es ist kein ungewöhnlicher Vorgang, dass sich Täter zu Opfern stilisieren und im Falle Ihres wenig durchdachten Angriffes auf die „BI Gethsemaneplatz“ ist es nicht anders als und wie so oft.
Vorweg einige Angaben aus der Verkehrsstatistik der Berliner Polizei von 2008:
Insgesamt gab es 55 Verkehrstote in diesem Jahr. Davon waren ganze vier Autoinsassen, 30 Opfer waren nicht motorisiert und 11 MotorradfahrerInnen.
Wenn also das Verhältnis der tödlich Verunglückten Auto-INSASSEN zu den tödlich verunglückten NICHT-MOTORISIERTEN Verkehrsteilnehmern (Radfahrer, Fußgänger) 4:30 bzw. 1:7,5 ist, dann darf man sich schon mal fragen, wie Ihr Artikel „Leben und Leben lassen“ zu deuten ist, mit dem Sie ja gewissermaßen unterstellen, dass die BI Gethsemaneplatz Sie nicht leben lassen will, und das natürlich aus purem Egoismus. Wer übt hier „Rücksicht“ und wer trägt die „Verluste“?
Worin dieser Egoismus bestehen soll, müssen Sie aber noch erklären. Besteht er darin, dass wir den Raum um die Kirche NICHT 23 Stunden am Tag für das Abstellen unseres Privateigentums beanspruchen? Oder besteht er darin, dass wir die Luft NICHT mit unseren nicht vorhandenen Autos verpesten und deshalb auch niemanden damit totfahren? Oder besteht der Egoismus darin, dass man nicht bereit ist sich totfahren zu lassen? Es ist schon wirklich intolerant, ja, jetzt wo Sie es sagen, rücksichtslos, nicht mehr als potentielles Verkehrsopfer zur Verfügung stehen zu wollen.
Sie müssen den vielen Bürgern und Anwohnern, die der BI Gethsemanplatz am 28.5.2011 wieder einmal sehr viel Glück wünschten, erklären, warum die „private Lebensidee“ von Herrn Müller, nämlich ein (Ihr) Privatauto permanent und quasi gratis im öffentlichen Raum abstellen zu dürfen, weniger egoistisch sein soll, als der Anspruch der BI Gethsemaneplatz, diesen Raum für ALLE Menschen, nicht nur Autofahrer, zugänglich zu machen. Das ist er nämlich nicht! In der Gethsemanestraße und Greifenhagener Straße ist es z.B. für Kinder NIRGENDWO möglich, die Straße sicher zum Spielen zu nutzen.
„Lediglich 13,1 Prozent der Befragten unterstützen die Initiative“ ?
Es ist schon entlarvend, wenn Sie die Umfrage, die sie soeben noch zu einem „zweifelhaften Mittel einer selbstgebastelten schriftlichen Meinungsumfrage“ herabgewürdigt hatten, nun als Beweismittel Ihrer eigenen Interessen benutzen, wenn auch erwartungsgemäß mit verdrehten Zahlen, die Ihre Meinung unterstützen sollen. Im Wortlaut steht in der Auswertung der Umfrag zu lesen „13% der Umfrageteilnehmer möchten gar SÄMTLICHE bestehenden Stellplätze umwidmen“. Das entspräche in der Tat den Wunschvorstellungen der BI Gethsemaneplatz als auch denen von CARambolagen. Aber beide Initiativen können auch mit einem fairen Kompromiss leben, der die verschiedenen Interessen der Bürger wenigstens PROPORTIONAL berücksichtigt. Für einen solchen Kompromiss sind nämlich weitere 50% der Befragten offen, was insgesamt 63% ausmacht. Herr Müller, Sie machen mit den Zahlen der BI GethsemanePLATZ DIE unlautere Politik, die Sie der BI vorwerfen, denn es gibt zwar durchaus Maximalforderungen bzw. ideale Vorstellungen, aber Kompromisslosigkeit können Sie nur unterstellen, aber nicht beweisen.
Von einer proportional gerechten Nutzung sind wir bisher allerdings weit entfernt. Im Prenzlauer Berg gibt es rund 200 Autos pro 1000 Einwohner. Diese 20% beanspruchen aber mehr als 90% des Straßenraumes – und zwar kaum zum Fahren, sondern zum Stehen. Jedes Auto benötigt mindestens 10m² Stellfläche, die, wenn sie privater Wohnraum wären MINDESTENS 60 Euro „kalt“ kosten würden. Da der Raum aber öffentlich ist, beansprucht der Herr Müller diesen Raum selbstverständlich gratis. Was mich, Herrn Möller, daran hindert, mein Kellergerümpel permanent an derselben Stelle in einem Container gratis abzustellen, das regelt ein ziemlich willkürliches Gesetz. Aber ich erwäge einen geschlossenen Anhänger mit Nummernschild zu kaufen, um ihn dann permanent als Lagerraum in der Gethsemanestraße zu benutzen. Das ist in jedem Falle billiger als meine Wohnung vollzustopfen.
„All das, was die Initiative will, gibt es längst und in Hülle und Fülle: draußen auf dem Land.“
Sie bedienen in ihrer Kritik an der BI das uralte dumme Klischee des „Wer’s grün/ruhig will, der soll auf’s Land ziehen“. Wir kennen solche irrigen Vorschläge seit vielen Jahren und sie machen heute so wenig Sinn wie damals. Das Problem ist, wir wollen gar nicht auf’s Land, sondern wir wollen, dass der urbane Raum nicht länger für Dinge missbraucht wird, für die er nicht geschaffen wurde. Warum soll jemand, der KEIN Auto besitzt, auf’s Land ziehen, wo er wegen der langen Wege auf ein solches angewiesen wäre? Und warum soll jemand in der Stadt den Radfahrern und Fußgängern, die kein Auto benötigen, weil kurze Wege, Fahrräder und ÖPNV das überflüssig machen, das Leben schwer machen, indem er die Luft verpestet und den öffentlichen Raum zerstört? Alle diese Effekte sind wissenschaftlich bewiesen!
Leben und leben lassen! Darauf bestehen WIR, so lange, bis die GLEICHBERECHTIGUNG der Verkehrsteilnehmer in den Verkehrs- und Gesundheitsstatistiken als vollzogen erkennbar wird. Und wenn Sie sich auf unseren Webseiten wirklich mit unseren Zielen beschäftigt hätten, dann wüssten Sie, dass wir nichts gegen den „Klempner“ und seine Fahrzeuge haben. Wir sind auch nicht per se gegen das Auto oder motorisierte Fahrzeuge, sondern gegen ihre Vorherrschaft über die Bestimmung unseres Lebensraumes. Autos sollen UNS dienen und nicht wir den Autos. Wenn Sie einen Gratis-Parkplatz wollen, dann ziehen SIE doch auf’s Land, da sind die Quadratmeter billig und reichlich vorhanden. Und wenn Sie in die Stadt wollen, dann nutzen Sie die nächste Park-und-Ride-Gelegenheit. Oder haben Sie wenigstens die Fairness, mit Ihrem Auto an eine Hauptverkehrsstraße zu ziehen, um täglich das zu erleben, was Millionen Nicht-Autofahrer erleiden. Lernen Sie die Vorzüge einer stark befahrenen Ausfallstraße kennen. Leben und Leben lassen!
Frank Möller
CARambolagen
PS: Wir haben niemals irgendwelche Absichten „verborgen“. Schon 2009 beim ersten Weltspieltag an der Gethsemanekirche mit dem Thema „ungewöhnliche Spielorte“ haben wir einen sehr unmissverständlichen Flyer mit den Fragen „Ist dies ein ungewöhnlicher Spielort? Wo würdest Du spielen?“ verteilt und unsere Absichten klar geäußert.
Über unsere Alternativvorschläge, unter anderem zur Automobilität ohne eigenes Auto, erfahren mehr auf unserer Website www.carambolagen.de.
Autor: Frank Möller: Musiker, Grafiker, Redakteur, Pamphletist und Umwelt-Aktivist in verschiedenen Initiativen. Seit 1990 in Berlin Prenzlauer Berg. Seit 2008 Redakteur von www.carambolagen.de .