„Herbstlaube“-Pleite gefährdet auch Gründerzeitmuseum

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 23. Mai 2011

In der Dunckerstraße zeigt eine Wohnung, wie man um 1900 lebte. Das Kleinod des alten Prenzlauer Berg ist jetzt akut gefährdet.

Die Wohnung wirkt wie ein Fremdkörper inmitten der dielenabgezogenen, vollsanierten Gründerzeithäuser rund um den Helmholtzplatz. „Zimmermeister Brunzel baut ein Mietshaus“ heißt die kleine Ausstellung in der Dunckerstraße 77, für die eine Vorderhauswohnung in den Zustand der Jahrhundertwende zurückversetzt wurde. Wenn man sie betritt, kann man sich gut vorstellen, wie sie mit abgezogenen Dielen, mit Billy-Regalen, Retro-Stehlampen und Mark-Rothko-Bildern an der Wand aussehen würde – der dezente Stuck an der Decke würde die begehrte Prenzlauer-Berg-Altbauwohnung formvollendet abrunden. Wäre hier Wohnungsbesichtigung, dann würde das Herz jedes Neuberliners spätestens beim Tritt über die Türschwelle höherschlagen. Das Angebot wäre schon nach kurzer Zeit wieder wegen Übernachfrage bei Immobilienscout verschwunden.

So aber irritiert die Wohnung das Auge des sanierungsgeschulten Prenzlauer Bergers. Der Boden nicht abgeschliffen, darüber ein schwerer Teppich, bemalter Stuck an der Decke, ein Waschbottich in der Küche, Mustertapete und schwere Bilderrahmen an der Wand. Die Wohnung in der Dunckerstraße 77 ist ein Kleinod, weil sie der Geschichtslosigkeit von Prenzlauer Berg etwas entgegensetzt.

 

Eine Wohnung gegen die Geschichtslosigkeit

 

In ihrer bescheidenen Präsentation ruft sie dem Besucher in Erinnerung, dass es einmal in jeder Wohnung im Mietskasernenviertel so oder so ähnlich aussah – und dass es eine Geschichte des Stadtteils gibt, die weit über Mystifizierung, Gentrifizierung und DDR-Zeit hinausreicht. Man wüsste gerne, wie es um die Jahrundertwende in der eigenen Wohnung aussah, wer dort wohnte, was später am selben Ort passierte. Die Wohnung in der Dunckerstraße erzeugt eigene Altbauphantasien.

Hört man der sachkundigen Museumsführerin zu, dann mutet es am Ende als Ironie der Geschichte an, dass das gerade kleinbürgerliche, von vorsintflutlichen Wohnverhältnissen geprägte und viel zu dicht bebaute Spekulantenviertel hinter dem Prenzlauer Tor überhaupt zu einer der gefragtesten Adressen Berlins werden konnte. Im Gründerzeitmuseum kann man zum Beispiel an einer aufgelassenen Wand studieren, wie hektisch und materialsparend beim Bau der Mietskasernen vorgegangen wurde. Die Backsteine sind von fingerdicken Fugen umgeben.

 

Insolvenz des Vereins kann wohl nicht mehr verhindert werden

 

Zimmermeister Heinrich Brunzel hatte das 914 Quadratmeter große Grundstück an der Dunckerstraße 77 im Mai 1895 gekauft. Vier Wochen danach begannen die Bauarbeiten, im März 1896 waren bereits erste Wohnungen bezugsfertig, doch schon im Dezember musste das Haus zwangsversteigert werden. Zimmermeister Brunzel hatte also nicht viel von seinem Mietshaus.

Dass Prenzlauer Berg eine Museumswohnung hat, die an die eigene Geschichte als Mietskasernenviertel erinnert, ist dem Verein „Herbstlaube“ zu verdanken, der im selben Haus in der Dunckerstraße Träger des gleichnamigen Seniorentreffs ist. So wie es im Moment aussieht, kann die Insolvenz des Vereins nicht mehr verhindert werden (die Prenzlauer Berg Nachrichten berichteten). Aus dem Umfeld des Vereins ist zu hören, dass im Moment versucht wird, zumindest den Mittagstisch in kleinerem Rahmen weiter anzubieten. „Für unsere Senioren ist das hier ein zweites Zuhause. Ich weiß nicht, wie viele darüber hinwegkommen werden, wenn wir schließen müssen“, sagt eine Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht genannt wissen will. Eine niedrige vierstellige Summe pro Monat soll fehlen – aber Sponsoren für alte Leute gibt es in Berlin offenbar nicht, jedenfalls wurde der Verein nicht fündig. Den Alten fehlt es an einer Lobby.

 

Prenzlauer Berg könnte ein Kleinod verlieren

 

Gefährdet ist deshalb jetzt auch der Fortbestand der Gründerzeitmuseums im gleichen Gebäude. Denn die recht großzügigen Öffnungszeiten waren bisher nur möglich, weil man sich zur Besichtigung in den Räumen der „Herbstlaube“ melden konnte. Das Museum hat auch kein eigenes Büro, von Toiletten ganz zu schweigen. Und zur Betreuung der Gäste gab es bisher eine von der Arbeitsagentur geförderte Fachkraft, deren weitere Anstellung über den Verein auch gefährdet ist. So besteht die Gefahr, dass Prenzlauer Berg schon bald wieder ein kulturelles Schmuckstück verlieren wird, auf das man andernorts neidisch wäre.



Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar