Politik kafkaesk in Prenzlauer Berg

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 11. April 2011

Wie sich die Bezirkspolitik beim Kampf gegen den „KolleBelle“-Bauinvestor Rainer Bahr in Erklärungsnöte verstrickt.

Es könnte alles ziemlich einfach sein: Ein Immobilienunternehmer kauft ein Grundstück samt Wohnhaus, er investiert, baut um und setzt noch ein paar zusätzliche Wohnungen auf das Grundstück. Doch der Investor ist nicht wohlgelitten bei den für sein Baugesuch zuständigen Politikern. Alte Mieter würden vertrieben, Grünflächen würden zerstört, und überhaupt, es seien in der Gegend schon zu viele Baulücken bedenkenlos zugepflastert worden, das müsse nicht auch hier noch der Fall sein, heißt es bei Grünen, Linken und SPD. In einem hochverdichteten Gebiet wie Prenzlauer Berg sind solche Überlegungen durchaus legitim.

Die Politiker könnten das Baugesuch des Investors ablehnen – und das dann mit diesen Argumenten begründen. So wie es in einer Demokratie üblich ist. Ein Problem ist allerdings, dass die tatsächlichen Argumente vor Gericht keinen Bestand haben dürften. Gut, dass es im Baurecht noch andere Möglichkeiten gibt, eine Bebauung zu verhindern, werden sich die Politiker wohl gedacht haben.

 

Richtiges Ziel mit falschen Mitteln?

 

In dem Fall des Bauinvestors haben sich die Politiker deshalb entschieden, das Gebäude, das er gekauft hat, kurzerhand für historisch bedeutsam zu erklären. Weil aber eigentlich nur Experten wissen dürfen, was historisch bedeutsam ist, haben diese Politiker ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es erklärt das Gebäude für historisch bedeutsam. Auch der Investor bleibt nicht untätig. Er beauftragt einen anderen Experten. Der sagt, das Gebäude sei historisch nicht so bedeutsam.

Das alles muss man wissen, um zu verstehen, wie kafkaesk zurzeit um eine der begehrtesten Baulagen in Prenzlauer Berg gekämpft wird. Der Streit ist nicht neu, der Investor heißt Rainer Bahr, das Grundstück liegt an der Belforter Straße, direkt nebem seinem umstrittenen Objekt „KolleBelle“. Auch wir haben schon mehrmals über den Fall berichtet. Man muss wissen: Weil die Politiker einen Umweg gewählt haben, können sie sich keinen Fehltritt erlauben. Sonst platzt die ganze Sache womöglich noch.

 

„Einige taten furchtbar erstaunt“

 

Es ist also eine – auch juristisch – recht heikle Angelegenheit, mit der sich die Mitglieder des Bauausschusses in der BVV Pankow im Moment zu beschäftigen haben. Unterlaufen dem Bezirk Fehler, dann könnten seine Entscheidungen später vor Gericht angefochten werden. Möglicherweise müssten die Steuerzahler dem Investor eine Entschädigung auszahlen.

Umso mehr wunderte sich nun Thomas Brandt, der für die FDP im Ausschuss sitzt, als er in der Sitzung vom 24. März danach fragte, was eigentlich mit dem Gutachten sei, das der Investor in Auftrag gegeben habe und das seit knapp einem Monat dem Bezirksamt vorliege. Es war von dem Architekturprofessor Helmut Geisert verfasst worden. „Ich fragte, warum es nicht vorliegt und besprochen wird. Es kam null Reaktion aus der Runde. Einige taten furchtbar erstaunt. Der Vorsitzende und der Baustadtrat taten so, als ob sie von nichts wüssten“, sagt Brandt.

 

„Herr Bahr macht gerne strategische Fehler“

 

Aber stimmt das wirklich? „Offiziell habe ich erst in der Sitzung am 24. März von dem Gutachten erfahren“, meint Roland Schröder (SPD), der Vorsitzende des Ausschusses, als er von uns zu dem Vorwurf befragt wird. Michail Nelken (Linke), der zuständige Stadtrat, wurde von den Prenzlauer Berg Nachrichten am Donnerstag um eine Stellungnahme gebeten. Er antwortete auf eine entsprechende Mail bis Sonntagabend nicht. Investor Rainer Bahr sagt, er habe das Gutachten von Geisert am 28. Februar per eMail und per Post an Nelken geschickt. Am 15. März hatten auch die Prenzlauer Berg Nachrichten über den Inhalt des Gutachtens berichtet. Und bereits unter dem Datum 3. Februar hatten die ursprünglich vom Bezirksamt mit einem Gutachten beauftragte Experten der „Planungsgruppe Werkstadt“ eine achtseitige Erwiderung auf die erst drei Tage zuvor zugesandte Geisert-Expertise verfasst. Ob sie das ohne Wissen des Bezirksamts taten, ist nicht bekannt. Es wäre aber unwahrscheinlich, da das Amt Auftraggeber der Planungsgruppe ist und diese wohl kaum ohne dessen Einwilligung Stellungnahmen ausarbeitet.

Der Ausschussvorsitzende Schröder sieht in den Vorwürfen seines Ausschusskollegen Brandt dennoch kein Problem: „Wir sind ehrenamtliche Politiker, keine Dienstleister“, sagt er. „Wenn es keine Fraktion beantragt, sehe ich keine Veranlassung über das Gutachten zu diskutieren.“ Rein formal dürfte Schröder damit Recht haben. Weiter meint er: „Herr Bahr macht gerne strategische Fehler. Wenn er sagt, dass er ein Gegengutachten in Auftrag gibt, dann ist klar, dass das Ergebnis schon vorher festgestanden hat. Für uns ist das Gutachten im Auftrag des Bezirksamts maßgeblich, weil es unserem Anliegen Rechnung trägt.“

 

Nur eines von zwei Gutachten wurde diskutiert

 

Trotzdem stellt sich die Frage, ob die verantwortlichen Bezirkspolitiker gut beraten sind mit dem, was sie da tun. Wenn der Bezirk eine Erhaltungsverordnung erlässt und diese später vor Gericht überprüft wird, dann wird sich spätestens dann die Frage stellen, wie transparent und ergebnisoffen der gesamte Prozess war. Genau aus diesem Grund wurde das eigene Gutachten in Auftrag gegeben – weil die Bezirksverordneten im Baurecht nicht einfach nach Gusto entscheiden dürfen, sondern dies einer gutachterlichen Grundlage bedarf. Das Bezirksgutachten wurde im Ausschuss diskutiert, das Gutachten des Investors nicht – der CDU-Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft hält das für zweifelhaft: „Mich wundert, wie das Bezirksamt mit diesen Informationen umgeht. Es tut sich damit keinen Gefallen“, sagte er den Prenzlauer Berg Nachrichten.

Eine Niederlage vor Gericht hat der Bezirk nach Angaben von Investor Bahr bereits am Freitag einstecken müssen. Demnach sei in einer vorläufigen Entscheidung die vom Bezirk verfügte Zurückstellung seiner Bauvoranfrage zurückgewiesen worden. Bahr lässt übrigens keinen Zweifel daran, dass er jegliche Verfahrensfehler des Bezirks auch in Zukunft zu seinen Gunsten nutzen will: „Für den Bezirk gilt ein Abwägungsgebot. Wenn sich am Ende herausstellt, dass die Abwägung mangelhaft war, ergeben sich daraus Amtshaftungsansprüche in Millionenhöhe.“

 

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