Spatzen gegen Arbeiterbewegung

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 15. März 2011

Investor Rainer Bahr präsentiert ein neues Gutachten – in Prenzlauer Berg wird mit schwerem historischen Geschütz um sein Bauprojekt gekämpft.

Drei 50er-Jahre-Mietsblöcke an der Belforter-/Ecke Straßburger Straße sorgen in Prenzlauer Berg für eine Architekturkontroverse: Vor sechs Wochen hatte das Bezirksamt Pankow ein Gutachten präsentiert, das die DDR-Bauten dort als „stadthistorisch bedeutend und schutzwürdig“ würdigt (PBN berichtete). Jetzt fällt eine Abhandlung im Auftrag des Bauinvestors Rainer Bahr ein niederschmetterndes Urteil: Von der Nachkriegsbebauung gehe „keine architektonische Qualität“ aus, meint der Architekturprofessor Helmut Geisert.

Im Kern geht es bei dem Streit darum, ob Bahr als Grundstückseigentümer das Areal neben seinem Vorzeigeprojekt „Palais KolleBelle“ mit einer Blockrandbebauung schließen darf.  Eine Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen im Bezirksparlament will das verhindern. In der Vergangenheit wurden dafür verschiedene Register gezogen. Nachdem in der politischen Debatte zunächst der Schutz von Mietern und die Verhinderung weiterer Verdichtung dominiert hatten, wurde inzwischen ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Dabei geht es um die Frage, inwiefern die drei Mietshäuser bauhistorisch bedeutend sind. Laut Baugesetzbuch kann der Bezirk eine „Erhaltungsverordnung“ erlassen, wenn zuvor eine „Schutzwürdigkeit der städtebaulichen Eigenart“ festgestellt wurde. Dann wären bauliche Veränderungen genehmigungspflichtig – Bahr könnte angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Pankow mit seinem Projekt wohl einpacken.

 

 Der Hass der Kleinbürger

 

Gutachter Geisert greift tief in die Berliner Baugeschichte zurück, um die Sichtweise des vom Bezirksamt initiierten Gutachtens zu unterminieren. Die „historische und sachliche Argumentation“ des Papiers, das die Planungsgruppe „Werkstadt“ verfasst hatte, könne nicht unwidersprochen bleiben, erklärt der Gutachter: „Weite Teile der historischen Darstellung basieren auf unkritisch übernommenen historischen Klischees, die zu Schlussfolgerungen herhalten müssen, die so nicht hinnehmbar sind.“

Während Geisert den historischen Zusammenhang bemüht, hatte das Bezirksamtsgutachten auch die 50 Jahre alten Baumbestände und die dort ansässigen Vogelarten als nach Europarecht besonders schützenswert erwähnt. Gutachter Geisert richtet sein Augenmerk vor allem auf die Wahrnehmung der Blockrandbebauung, die in Prenzlauer Berg dominant ist, und die Investor Bahr auch an der fraglichen Stelle etablieren will: „Es war vor allem der Hass der Kleinbürger, der diese Häuser als Mietkaserne diffamiert hat und mir ist es vollkommen unverständlich, wie man noch heute in bester Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung diese Wohnweise als Kasernierung bezeichnen kann.“ Das, so Geisert,  hieße ja, dass es gelungen sei, das Proletariat zu kasernieren.

 

Steht Blockrand für das Proletariat?

 

Es sei bekannt, dass viele Verfolgte des Naziregimes sich dem Zugriff des Staates in den Miethausquartieren nicht nur wegen deren Unübersichtlichkeit, sondern auch durch die Solidarität der Bewohner hätten entziehen können, schreibt er – vielleicht eine kleine Spitze vor dem Hintergrund, dass gerade die Linkspartei entschieden gegen die Investorenpläne kämpft. Investor Bahr jedenfalls gibt nicht nur Gutachten in Auftrag, er klagt zurzeit auch gegen den Bezirk. Eine Entscheidung wird in den kommenden Wochen erwartet.

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