Der vermaledeite Streit um die Kastanienallee hat etwas Gutes: Für jeden ist sichtbar geworden, woran es in Prenzlauer Berg krankt.
Es fällt schwer, dem Streit um die Kastanienallee noch etwas Gutes abzugewinnen. Die Fronten sind starr, mitunter grüßt man sich nicht einmal mehr. Da sind Berufsprotestierer, die an der Bezirkspolitik endlich ihr Mütchen kühlen konnten, und da sind auf der anderen Seite Politiker, die plötzlich überrascht sind, dass es selbst in der Unübersichtlichkeit Berlins Bürger gibt, mit denen man sich auseinandersetzen muss.
Und doch wirkte die Auseinandersetzung entlarvend, die Beteiligten mussten sich, ob sie wollten oder nicht, „committen“, wie es bei den Grünen heißt. Zu Beginn war die Kastanienallee auch ein Problem vor allem der Grünen. Mit diffus und im Rückblick für eine designierte Regierungspartei dilettantisch geführten „Schlichtungsgesprächen“ versuchten sie vor allem für sich selbst Schaden abzuwenden. Das ist ihnen nicht durchweg gelungen.
Paradoxerweise profitiert der, der am meisten angefeindet wird
Fragwürdig bleibt insbesondere der Auftritt des Wahlkreisabgeordneten Volker Ratzmann, der um die Jahreswende herum in den Schlichtungsgesprächen die Idee einer Anwohnerbefragung in die Welt setzte, von der sich die Grünen ein paar Wochen später im Eiltempo verabschiedeten – als klar wurde, dass eine Befragung zu Ergebnissen führen kann, die nicht zum Programm der Partei passen. Ratzmann fürchtet um sein Wahlkreisergebnis, und vermittelt doch den Eindruck, dass ihm der Zoff um die Kastanienallee in Wirklichkeit zu kleinkariert erscheint.
Paradoxerweise aber hat einer gewonnen, der sich immer deutlicher als kommender Bezirksbürgermeister in Pose setzt. Jens-Holger Kirchner, in Pressemitteilungen der Kastanienallee-Aktivisten instinktlos als Jens „Hosni“ Kirchner verunglimpft, hat die öffentliche Präsenz erreicht, die der amtierende Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) schmerzlich vermissen lässt.
Nicht die Grünen, aber SPD und Linke haben die Macht
Manchmal hat man inzwischen den Eindruck, Kirchner sei selbst überrascht davon, wie sehr ihn der Pflasterstreit, mit dem zunächst nichts zu gewinnen schien, in die öffentliche Wahrnehmung bugsiert hat. Für Kirchner war er unfreiwilliger Anlass zur Selbstvergewisserung. Sein Konzept kann man gut finden oder schlecht. Doch der Vorwurf, er habe sich mit den Kritikern nicht in zahllosen Runden auseinandergesetzt, verfängt in seinem Fall nicht. Er trifft viel eher auf andere zu.
Von Beginn an war es ein strategischer Fehler der empörten Bürger, dass sie sich auf Kirchner und die Grünen kaprizierten und übersahen, wer eigentlich die Macht im Bezirk Pankow hat. SPD und Linkspartei lieferte das einen willkommenen Vorwand, sich für unzuständig oder zumindest desinteressiert zu erklären. Beschlusslage ist Beschlusslage! – in diesem Punkt waren sich die beiden Gremienparteien einig.
Politik wird nicht mehr als geschlossene Veranstaltung akzeptiert
Während sich die Linke politisch aus Prenzlauer Berg zu verabschieden scheint, gab es durch den SPD-Kandidaten Severin Höhmann zumindest Versuche, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Doch Höhmann scheiterte an seiner eigenen BVV-Fraktion – und an einem Politikverständnis, man könne die Bürger so führen wie man eine Verwaltung dirigiert. Das funktioniert, wenn Politik als geschlossene Veranstaltung akzeptiert wird. Es funktioniert aber nicht mehr, wenn Bürger genau wissen wollen, warum bestimmte Dinge wie entschieden werden. Die Identifikation der Bürger mit ihrem Stadtteil Prenzlauer Berg wächst – und damit sinkt die Akzeptanz für diese Art von Lokalpolitik. Und es geht auch einmal nicht um die Luxusprobleme einer wohlstandsgesättigten Bionade-Gesellschaft, es geht ganz schnöde um die Erdung stinknormaler Kommunalpolitik.
Nun ist die Bürgerferne der Berliner Lokalpolitik kein Problem allein in Pankow. SPD und Linke werden darauf spekulieren, dass sie im Windschatten der Abgeordnetenhauswahl doch noch passable Ergebnisse einfahren. Denn eine Persönlichkeitswahl ist die Abstimmung zur BVV fatalerweise nicht. In der Vergangenheit hat eine solche Strategie auch funktioniert. Aber wer weiß, wozu Kirchners Umtriebigkeit noch führen wird? In einer Berliner Tageszeitung wurde er kürzlich mit Neuköllns bundesweit bekanntem SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky verglichen. Dessen Format hat Kirchner zwar nicht erreicht. Er hat aber offengelegt, dass es dem Bezirk an zwei Dingen deutlich fehlt – an Bürgernähe und an politischer Führung.