Die Einrichtung einer Angebots-Fahrradspur würde Radfahren auf der Kastanienallee gefährlicher machen, meint Daniel Röttger von der BI Wasserturm.
Radfahren ist ein großes Thema in Prenzlauer Berg, wo Radfahrer bis zu 40 Prozent am Gesamtverkehr ausmachen. Gleichzeitig befindet sich hier mit der Kreuzung Schönhauser Allee/Danziger Straße am U-Bahnhof Eberswalder Straße einer der gefährlichsten Orte für Radfahrer in ganz Berlin.
Wie es um den Radverkehr im Ortsteil bestellt ist, haben wir bereits in diesem Artikel vorgestellt. Nach dem Gastbeitrag von Cornelius Bechtler, dem verkehrspolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV folgt nun eine Einschätzung von Daniel Röttger von der Bürgerinitiative Wasserturm.
GASTBEITRAG VON DANIEL RÖTTGER
Der geplante Umbau der Kastanienallee wird zum einen mit der Verkehrssicherheit für Radfahrer und zum anderen mit der gewünschten Beschleunigung der Tram auf ihren 650 Metern Weg durch die Kastanienallee begründet.
Herr Bechtler, grüner BVV-Abgeordneter in Pankow und Funktionär des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, zeigt in seinem Gastartikel für die Prenzlauer Berg Nachrichten, dass er nach wie vor kein ausgereiftes Konzept für die Kastanienallee anbieten kann. Es mangelt an der logischen Zusammenfügung der von ihm genannten (Verkehrs- )verhältnisse und am sinnvollen Interpretieren von Verkehrs- und Unfallstatistiken: Die von ihm genannten Verhältnisse auf der Straße lassen bei unvoreingenommener Analyse den Schluss zu, dass der derzeitige Verkehr eine für Fahrradfahrer sehr attraktive und relativ gefahrenreduzierte Verkehrssituation bietet – bei einem, wie Herr Bechtler richtig sagte, stadtweiten Spitzenwert des Fahrradverkehrs in der Straße, und angesichts des von ihm nicht genannten Fakts einer in Relation zur Verkehrsdichte geringen Zahl von Fahrradunfällen – und besonders von schweren Fahrradunfällen – auf der Kastanienallee.
Ausweichen über Tram-Gleise ist keineswegs ungefährlich
Herr Bechtler beschreibt, dass direkt neben der von ihm befürworteten Angebots/Fahrradspur die Straßenbahnlinie verlaufen würde. Ein Halten und Lieferverkehrsgeschehen dort sei nicht nur möglich, sondern auch völlig legal. Was Herr Bechtler verschweigt, ist, dass das für den Radfahrer in diesem Falle notwendige Ausweichen ÜBER die Tramgleise keineswegs ungefährlich wäre. Im Gegenteil schreibt er, dass die tatsächlichen Gefahren viel kleiner seien, als sie subjektiv eingeschätzt würden.
Wir wissen nicht, in welchem Lehrbuch für den Fahrradfreund diese Weisheiten gefunden werden können – wir wissen aber, dass die Situation auf der Kastanienallee eine andere ist. Der zentrale Unterschied sind die erwähnten Tramgleise direkt neben dem Angebots-/Fahrradstreifen. Ein Radfahrer, der die Lücke im fließenden Verkehr suchte, müsste gleichzeitig diese Gleise bedenken und meistern – eine meiner Erfahrung als passioniertem Radfahrer nach nicht ganz so leichte Aufgabe, die eine zügige und gleichzeitige Vorwärts-, Rückwarts- und Seitwärtsorientierung verlangt. Scheiterte ein Radfahrer daran und stürzte, wäre er einer viel höheren Gefährdung ausgesetzt, als er es heute ist. Schließlich soll mit dem Umbau die Fahrbahnbreite von heute sieben auf neun Meter zunehmen, was den Tram- und Autoverkehr wesentlich beschleunigte. Die real gefahrene Geschwindigkeit der motorisierten Verkehrsteilnehmer wird nach verkehrspsychologischen Erkenntnissen dadurch um etwa 15 km/h zunehmen.
Entgegenkommender Verkehr könnte zur tödlichen Falle werden
In seiner bruchstückhaften Analyse vernachlässigt Herr Bechtler aber noch einen weiteren entscheidenden Parameter, der für die Fahrradfahrer zu einer tödlichen Falle werden könnte – den entgegenkommenden Auto- und Tram-Verkehr. Dieser führe im Verhältnis zur heutigen Verkehrsführung stärker in der Mitte der Straße, da der Angebotsstreifen dies verlangte. Ein Fahrradfahrer, der etwa hinter einem haltenden Lieferfahrzeug hervor“springen“ würde, (wie es beim Überqueren von parallelen Gleisen notwendig ist), käme sehr schnell, und unter Umständen sehr überraschend, in den Radius dieses Gegenverkehrs. Eine Kollision mit dem (beschleunigten) Gegenverkehr wäre so viel eher möglich.
Summa summarum: Die heutige Verkehrsführung in der Kastanienallee ist gekennzeichnet durch eine relativ schmale Fahrbahn (sieben Meter), die von drei schnellen Verkehrsteilnehmergruppen (Fahrradfahrer, Tram, Autos) sowie den querenden, langsameren Fußgängern genutzt wird. Alle sind sich, bewusst oder unbewusst, über die potentiellen Gefahren dieser engen Konstellation im Klaren – und verhalten sich entsprechend rücksichtsvoll. Daher gibt es relativ wenige wirklich schwerwiegende Unfälle. Die Verkehrssituation erinnert etwas an das Modell eines „shared space“, in dem Vorsicht, Rücksicht und Vernunft den Verkehr im wesentlichen gut und erfolgreich regeln.
Entschleunigung macht Straßenverkehr sicherer
Natürlich ließe sich diese Situation noch verbessern, indem die Voraussetzungen für diese Grundprinzipien im urbanen Verkehr gestärkt würden. Dies erreicht man aber gerade eben nicht durch eine Straßenverbreiterung und Verkehrsbeschleunigung oder eine zwar baulich-theoretische, aber praktisch nicht realisierbare Trennung der Verkehrsspuren. Sinnvoll sind im Gegenteil verkehrsentschleunigende Maßnahmen wie eine kontrollierte(!) Tempo-30-Beschränkung, mehr und vor allem sichtbare Fahrradpiktogramme zwischen und neben den Schienen sowie ggf. auch eine Kinder-Bedarfsampel – oder auch (drastische) Fahrbahnverschmälerungen, z.B. im Abbiegebereich von der Schönhauser Allee in die Kastanienallee.
Wir erinnern uns, dass die Bürgerinitiativen im Kiez und der ADFC vor einigen Jahren FÜR sinnvolle und verkehrssituationsadäquate Fahrrad-/Angebotsstreifen kämpfen mussten, damit z.B. in der Greifswalder Straße nicht die amtlichen Fehlplanungen wie auf der Prenzlauer und Schönhauser Allee wiederholt werden, die heute die wirklich unfallträchtigen und gefährlichen Orte für Fahrradfahrer und Fußgänger im Prenzlauer Berg sind. Unsere häufig getätigte Aussage, dass Fahrradstreifen in bestimmt 95% der größeren Straßen eine gute und sinnvolle Lösung für den Fahrradverkehr sein mögen, möchten wir auch hier wiederholen.
In der Kastanienallee sind aber die Gegebenheiten etwas diffiziler, so dass eine 08-15-„Angebotsstreifen“-Konservenlösung genauso in die Irre führt wie andere ideologisch begründete oder von Partikularinteressen bestimmte Projekte im Kiez. Nachdem in der Kastanienallee seit drei Jahren im wesentlichen ein Versteckspiel vom Tiefbauamt aufgeführt wurde, schlagen wir vor, die verschiedenen Argumente in einem ernsthaften, wirklich öffentlichen Prozess zu erörtern – und dann in einem Akt der direkten Demokratie den Betroffenen zwei oder drei durchdachte Planungsvarianten zur Abstimmung vorzulegen.
Autor: Daniel Röttger stammt aus der bekannten Fahrradstadt Münster /Westfalen. 1988 kam er mit 20 Jahren zum Medizinstudium nach Berlin. 1996 zog er nach Prenzlauer Berg. Im Jahr 2006 ist er Mitbegründer der Bürgerinitiative BI-Wasserturm. Röttger ist zudem Mitglied der Initiative Stoppt K21 (die sich gegen den Umbau der Kastanienallee wendet). Beruflich ist er als Arzt in Berlin tätig.