Prenzlauer Berg ist ein Ziel für alle, die zum zweiten Mal nach Berlin reisen, glaubt der Marketingverein Pro Prenzlauerberg. Die Bewohner sorgen sich derweil, dass zu viele Ferienwohnungen entstehen.
Diese Sachbeschädigung erfolgte äußert gewissenhaft. Nicht anders kann man die präzise Genauigkeit bezeichnen, mit der ein Unbekannter aus dem Plan des BVG-Netzes all diejenigen Stationen herausgekratzt hat, die für Touristen interessant sein könnten: Alexanderplatz – nur ein weißer Fleck. Zoologischer Garten – nicht existent. Ebenso der Potsdamer Platz, der Bahnhof Friedrichstraße, der Wittenbergplatz. „Bleibt zu Hause“ ist die Nachricht, die der Täter den Touristen hinterlassen hat, die in dem Waggon der U2 durch die Stadt reisen, in dem der betroffene Fahrplan hängt. Orientierungslos und in die falsche Richtung, wenn es nach dem Kratzer geht.
Touristen sind nicht jedem willkommen, und doch ein eigener, wichtiger Wirtschaftsfaktor für Berlin ebenso wie für den Prenzlauer Berg. 7,7 Millionen Gäste hat das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg in Berlin im vergangenen Jahr allein bis Oktober gezählt; im Durchschnitt blieben sie 2,3 Tage in der Stadt. Und sorgten etwa 2008 für einen Umsatz von knapp neun Milliarden Euro in Einzelhandel, Dienstleistungs- und Gastgewerbe, wie das Beratungsunternehmen dwif ermittelt hat. Den Bezirk Pankow suchten sich knapp sechs Prozent der Gäste als Übernachtungsort und Ausgangspunkt für ihre Stadterkundungen aus – eine Zahl, die durchaus ausbaufähig ist, wenn es nach „Berlin PRO Prenzlauer Berg – Verein für Regionalmarketing und Tourismus“ geht.
An den Fassaden des Prenzlauer Bergs erkannte man den maroden Osten
Hannelore Sigbjoernsen gehörte 1994 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins. „Damals sind die Reisebusse durch den Prenzlauer Berg höchstens durchgefahren, niemand ist ausgestiegen“, meint sie. Ihre Vorurteile gegenüber dem maroden Osten glaubten viele hier durch die Fassaden bestätigt zu sehen. „Unser Ziel war es, die Geschichte deutlich zu machen und zu erklären, warum es hier so aussieht.“
Begonnen hat man mit einem Malbuch. Dessen Hauptfigur, ein kleiner Vogel, flog über den Prenzlauer Berg und vermittelte dabei spielerisch dessen Geschichte, vom Wasserturm bis zu Käthe Kollwitz. Später gab man Kiezführer heraus und bot Führungen an. „Der Prenzlauer Berg kann dem Tourismus viel geben, aber im gleichen Maße auch selbst davon profitieren“, sagt Sigbjoernsen.
Mit der Zeit wurde aus der Interessengemeinschaft von Bürgern ein Verein auch für Akteure der Tourismusindustrie; die Arbeit wurde professioneller. Ende der 1990er sorgte man gemeinsam mit dem Bezirksamt dafür, dass Prenzlauer Berg ein touristisches Wegeleitsystem und Stellplätze für Reisebusse bekam. 2004 eröffnete auf Initiative des Vereins mit Fördergeldern der Europäischen Union in der Kulturbrauerei die Touristen-Information Tic. „Uns war wichtig, die Idee der Tourismusförderung in die Bezirksverwaltung zu tragen“, sagt Sigbjoernsen. „Das ist uns gelungen.“
Auch auf Landesebene ist man mittlerweile vernetzt – zweimal im Jahr trifft man sich mit den Vertretern anderer Bezirke sowie der Tourismus-Marketinggesellschaft des Landes, Visit Berlin, auf deren Internetseite auch Informationen zu Pankower Sehenswürdigkeiten präsentiert werden. Zur Internationalen Tourismusbörse ITB folgt in diesem März die Herausgabe einer Kiez-Broschüre, die Berlin-Besucher auf Sehenswürdigkeiten abseits der ausgetrampelten Pfade aufmerksam machen soll.
Spätestens bei zweiten Besuch landen Touristen in Prenzlauer Berg
Ein guter Ansatz, meint Sascha Hilliger, Hotelmanager und Vorsitzender des Vereins Pro Prenzlauerberg, denn das touristische Potential des Bezirks sei noch lange nicht ausgeschöpft. „Mittlerweile gibt es zunehmend einen Alltagstourismus. Die Besucher wollen mittendrin, genau dort sein, wo die Menschen wohnen“, meint er. Davon könne der Prenzlauer Berg mit seiner hohen Urbanität nur profitieren. Jedoch dürfe man sich auch keine zu großen Illusionen machen: „Prenzlauer Berg ist vor allem interessant für Menschen, die bereits zum zweiten Mal nach Berlin kommen. Die Erstbesucher zieht es meist zu den Leuchttürmen der Stadt, und die liegen nun mal in Mitte und Charlottenburg.“
Ähnlich sieht das auch Stefanie Gronau, Projektleiterin des Kultur- und Tourismusmarketings Tic, die die Touristeninformation in der Kulturbrauerei betreibt. Sie unterstreicht zudem die Rolle, die Veranstaltungen wie die Fête de la Musique oder die Lange Nacht der Theater für den Tourismus hätten, weshalb man diese richtig bewerben müsse: „Touristen sind wichtig für unsere Wirtschaft“, sagt sie. Hotels brauchten Brötchen und Wäschereien, Blumendekoration und Arbeitskräfte, und alles am besten aus der direkten Umgebung. So entständen Arbeitsplätze. „Außerdem leidet der Bezirk Pankow unter einer schwachen Kaufkraft. Auch hier können Gäste helfen.“
___STEADY_PAYWALL___
Das Clubsterben gefährdet den Tourismusstandort
Laut Gronau sind die Hotels in Pankow mittlerweile überdurchschnittlich gut gebucht mit einer Auslastung von 59 Prozent im Vergleich zu 56 Prozent berlinweit. Der Ruf als Szenestadtteil trage zu diesen Zahlen bei. „Das Clubsterben, das wir derzeit in Prenzlauer Berg verzeichnen, wirkt da allerdings kontraproduktiv.“
Anders als Hilliger sieht sie jedoch auch die Gefahren stetig wachsender Besucherzahlen. Touristification lautet der Begriff, unter dem sie die Sorgen der Prenzlauer Berger zusammenfasst, dass zu viel privater Wohnraum in Ferien- oder Zweiwohnungen umgewandelt werden und Läden ihr Angebot zunehmend auf Touristenbedarf umstellen könnten.
„Auch ich wohne mittlerweile in einem Vogelhaus, in dem die Besucher ein- und ausfliegen“, meint Sigbjoernsen dazu. Sie sieht das Bezirksamt in der Pflicht, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten – schließlich gingen diese privaten Unterkünfte nicht nur auf Kosten der Mieter, sondern auch der Hoteliers und Gastronomen.
Die Vorurteile, mit denen einige Berliner den Touristen begegnen und sie sogar als Störfaktor im eigenen Umfeld wahrnehmen, kann sie jedoch nicht nachvollziehen: „Berliner sind doch selbst auch oft Touristen in der eigenen Stadt.“
Mitarbeit: Roderik Wickert