Die Zeichen stehen auf eher auf Konfrontation statt Kompromiss. Doch die Gegner des Umbaus treten weniger geschlossen auf als bisher – und die Bezirkspolitik könnte beweglicher sein als es scheint.
„Kastanienallee: Kompromiss oder Konfrontation?“, hatte die SPD des südlichen Prenzlauer Bergs ihr Bürgerforum in der GLS-Sprachenschule überschrieben. Am Ende des Abends ließ sich die Frage recht klar beantworten: Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Den Kompromiss, mit dem sämtliche Beteiligte leben können, wird es nicht geben. Auch Schlichtungsrunden, Ortsbegehungen und Termine im Bezirksparlament haben nicht zur Beruhigung der Gemüter beigetragen.
Im Gegenteil: Die Stimmung in der Aula der Sprachenschule war gereizt, es wurde laut dazwischengerufen, mit dem Kopf geschüttelt, polemisiert. Moderator Severin Höhmann musste Teilnehmer mehrmals an Diskussionsregeln erinnern. Wenn sich die Bezirkspolitik streckenweise Ignoranz vorwerfen lassen muss, dann war dieser Abend genauso wenig eine gelungene Werbung in Sachen bürgerschaftlicher Diskussionskultur. Und er zeigte, dass der Streit längst nicht mehr nur entlang der alten Konfliktlinie Bezirksamt gegen Bürger verläuft.
Kirchner: Umbau nur im Einklang mit den Anwohnern
Denn begonnen hatte der Abend mit einer bemerkenswerten Äußerung von Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne): „Es sollte nie zu spät sein, nach Lösungen zu suchen. Der Umbau kann nur zusammen mit der Straße passieren und nicht gegen den Willen der Anwohner“, sagte er. Zu einem solchen Statement hatte sich Kirchner selbst in den von seiner eigenen Partei organisierten vier Schlichtungsrunden um die Jahreswende nicht hinreißen lassen.
Martina Schneider, stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), sollte dann die Interessen der Radfahrer repräsentieren. Sie argumentierte gegen die bisher zwischen den Straßenbahngleisen angebrachten Fahrradmarkierungen: Die Kastanienallee sei gerade für Familien, die auf Fahrrädern unterwegs seien, schwer passierbar. Wer einen Kinder-Fahrradanhänger mit einem Meter Breite hinter sein Rad hänge, könne nicht zwischen den Gleisen fahren, ohne sich selbst zu gefährden. „Berlin soll Fahrradstadt sein. Was hier passiert, hat Vorbildcharakter für die ganze Stadt“, sagte sie.
Harter: Kastanienallee ist Sinnbild für Berlin
Auch Till Harter von der Initiative „Stoppt K21!“ betonte den Vorbildcharakter der Straße, allerdings in anderer Hinsicht. Sie sei zu einem Sinnbild für Berlin geworden, nicht nur für Prenzlauer Berg, und außerdem die einzige Flaniermeile im Bezirk Pankow. Er warb dafür, die Radfahrer stärker über die Choriner Straße zu lenken, um sie aus der Kastanienallee herauszuhalten.
Matthias Aberle von der Bürgerinitiative Wasserturm brachte das Kostenargument ins Spiel. Eine alleinige Reparatur der Gehwege würde nur 165.000 Euro kosten, im Gegensatz zu 1,5 Millionen Euro bei der größeren Bezirksamtsvariante. Stadtrat Kirchner hielt ihm entgegen, dass in den 165.000 Euro die Baukosten für Haltestellenkaps und Gehwegvorstreckungen, die auch von den Umbaugegnern befürwortet werden, nicht enthalten sind.
Höhmann will für eigenen Vorschlag in BVV werben
Schließlich stellte Moderator Severin Höhmann, der auch für einen Sitz im Abgeordnetenhaus kandidiert, seinen eigenen Kompromissvorschlag vor, über den die Prenzlauer Berg Nachrichten im Vorfeld berichtet hatten. Höhmann möchte noch einmal bis zu zehn Stellplätze streichen und den Radstreifen von 1,50 auf 1,25 Meter verkleinern. Laut Straßenverkehrsordnung müsse ein Angebotsstreifen zwischen 1,25 und zwei Meter breit sein, sagte er. Damit erreiche man 150 Quadratmeter zusätzliche Gehwegfläche. Höhmann möchte auch die Parkbuchten verkleinern: „Dann reichen sie nicht mehr über die Baumreihe hinaus. Das ist ein entscheidender Punkt, um das Flair der Kastanienallee zu erhalten.“ Für seinen Vorschlag werde er nun in den Fraktionen der BVV werben, kündigte Höhmann an.
Als das Publikum in die Diskussion einbezogen wurde, glitt die Runde allerdings ins Grundsätzliche ab. Es wurde darüber gestritten, wann der Times Square in New York umgebaut wurde, ob er mit der Kastanienallee vergleichbar sei oder nicht. Ein anderer Anwohner gab Westdeutschen die Schuld für die Umbaupläne. Prenzlauer Berg sei ein Arbeiterbezirk, Westdeutsche würden sich Tiefgaragen bauen lassen, und Ostdeutsche würden nun ihre Parkplätze auf der Straße verlieren, sagte ein weiterer Bürger.
Alle fürchten den Vorwurf, Provinz zu sein
Immer wieder ging es zudem um Gentrifizierung, jene Aufwertung von Wohngebieten, bei der bisher nicht erforscht ist, ob sie zu einer steigenden Zahl von Radstreifen führt. „Wir leben hier in einer Metropole“, argumentierte ein Anwohner gegen den Umbau der Straße. „Es ist äußerst provinziell, nichts zu tun“, rief ein anderer Bürger.
Beim Bürgerwiderstand gibt es ein neues Problem, das wurde an dem Abend offensichtlich: Er tritt nicht mehr so geschlossen auf wie noch im vergangenen Jahr. Dafür sprechen mehrere Indizien. Sebastian Mücke zum Beispiel, der in sämtlichen Schlichtungsgesprächen als Vertreter der Gewerbetreibenden zitiert worden war, deutete an, dass er sich einen Kompromiss aus Höhmann- und Möller-Plan vorstellen kann. Er sieht die Initiative nun vor allem bei den Fraktionen von SPD und Grünen.
Die Wege scheinen sich zu trennen
Frank Möller wiederum von der Bürgerinitiative Carambolagen plädierte vehement gegen einen Erhalt des Status quo – und stellte sich damit klar gegen die Initiatoren des Bürgerbegehrens. Zusätzlich hat der Widerstand gegen den Umbau auch die Interessenvertreter der Fahrradfahrer auf den Plan gerufen. Zwar wurde die stellvertretende ADFC-Vorsitzende Martina Schneider aus dem Publikum heraus als Lobbyistin und Vertreterin der „Betonfraktion“ bezeichnet. Doch die Gegner des Umbaus taten sich schwerer damit, gegen den Radfahrerverband zu argumentieren als gegen vermeintlich machtvergessene Bezirkspolitiker.
Und so scheinen sich die Wege nun zu trennen: „Was die Politik anbietet, ist eine Diskussion um Details. Zu mehr ist die Politik aber nicht bereit“, fasste Till Harter am Ende zusammen. Tatsächlich könnte es so sein, dass die Bezirkspolitik noch einmal über die Pläne geht. Stadtrat Kirchner deutete nach der Veranstaltung an, dass Dinge wie Größe und Anzahl der Parkbuchten auch nach Beginn der Bauarbeiten im März verändert werden könnten. Auf der anderen Seite wird das Bürgerbegehren wohl in Gang kommen. Es könnte aber sein, dass es kein Selbstläufer wird. Denn auch die Befürworter des Umbaus scheinen sich ihrer Argumente inzwischen recht sicher zu sein.