Die Zeichnerin und der Comic-Jackpot

von Brigitte Preissler 5. Januar 2011

Die Comiczeichnerin Ulli Lust im Interview mit den PBN über ihre Nominierung beim Festival in Angoulême und das Comicpotential des Helmholtzplatzes.

Seitdem vor ein paar Wochen bekannt wurde, dass Ulli Lust mit der französischen Übersetzung ihres Comics „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ (Avant-Verlag 2009) für die „Sélection Officielle“ des Comicfestivals im französischen Angoulême nominiert wurde, ist die Zeichnerin nicht mehr ganz so oft in ihrer Wohnung in der Lychener Straße anzutreffen. Schließlich jettet die 1967 geborene gebürtige Wienerin jetzt öfter mal zum Signieren nach Paris. Ulli Lusts Arbeit ist der einzige deutschsprachige Beitrag unter den insgesamt 58 Titeln der Longlist; eine Jury wird daraus Ende Januar 2011 den wichtigsten europäischen Comicpreis ermitteln. In unserem Interview erzählt die Zeichnerin, was die Nominierung für sie bedeutet – und warum sie so gerne in Prenzlauer Berg wohnt.



Ihr Comic „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ macht derzeit in Frankreich Furore. Inwiefern ändert sich durch den Erfolg gerade Ihr Leben?

Im Prinzip ist doch das genau mein Job: Ich mache Comics, die werden veröffentlicht, ich gebe Interviews, ich signiere Bücher, ich mache Lesungen, all das Zeug. Andererseits habe ich da jetzt natürlich schon einen Jackpot geknackt. Bei diesem Buch ist die Resonanz sehr viel größer als bei allem, was ich je zuvor gemacht habe. Damit kann man nicht rechnen. Aber man braucht so einen Erfolg auch, um als Comiczeichner überleben zu können. 

 

Auf nationaler Ebene sind Sie schon länger erfolgreich, 2010 gewannen Sie zum Beispiel den Max und Moritz-Publikumspreis beim Erlanger Comicsalon. Ist denn da finanziell nicht auch bald mal Land in Sicht? 

Jetzt schon – eben durch diesen nicht erwartbaren, extrem guten Erfolg des Buches. Aber Deutschland reicht einfach nicht zum Leben. In Frankreich ist das anders. Im November kam das Buch dort heraus, und drei Wochen später wusste mein französischer Verleger schon, dass er eine zweite Auflage machen muss, um nach Weihnachten nicht ausverkauft zu sein. (Anm. d. Redaktion: Bei www.amazon.fr ist die erste Auflage von „Trop n’est pas assez“ derzeit tatsächlich vergriffen). Natürlich verdiene ich dort immer nur die Hälfte, wegen der Lizenz, aber es ist doch etwas ganz anderes als hier. In Deutschland haben wir in einem Jahr 5000 Stück verkauft. Für einen Kleinverlag wie Avant ist schon das toll.

 

„Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ ist ein autobiografischer Comic. Ein siebzehnjähriges Punkmädchen namens Ulli reist mit seiner Freundin nach Italien. Was gab den Anlass, sich an die eigene Teenagerzeit zurückzuerinnern?

Ich habe mal einem Kollegen während einer langen Autofahrt von dieser Reise erzählt. Mein Freund war dabei, der hat danach gesagt: Du musst darüber einen Comic machen. Das leuchtete mir ein, denn einerseits funktioniert die Geschichte im klassischen Comicbereich für Jugendliche. Was mich aber viel mehr interessiert hat, war die Tatsache, dass es weibliche Helden sind. 

 

Was hat Sie daran gereizt?

Viel mehr als in der Literatur gibt es im Comic eine große Diskrepanz zwischen lebendigen, normalen Frauen, und dem, was im Comic gezeigt wird. Da gibt es wahnsinnig viele gepimpte Frauen, die sich auch alle gnadenlos dumm verhalten. Ich fand, es war an der Zeit, mal ganz menschliche, weibliche Comicheldinnen hinzustellen.

 

Ist Ihr Comic also eine Art feministisches Statement?

Vielleicht wird das in der Rezeption so wahrgenommen, weil diese Mädchen scheitern und Probleme mit Männern haben. Dabei verschwenden sie selbstverständlich keinen Gedanken daran, dass sie weniger wert sein könnten als Männer. Wir haben einfach gelebt. Wir hatten nie vor, da irgendwelche Kämpfe auszutragen. Das ist uns einfach passiert, weil man als junges Mädchen tatsächlich auf seine Sexualität reduziert wird. Jedenfalls, wenn man nicht gerade irgendwelche tollen Leistungen bringen kann, wie Klavierspielen oder so. 

 

In wie starkem Maße gibt die Geschichte denn tatsächlich 1:1 Ihre Erinnerungen wieder?

Es ist natürlich dramatisiert, ich musste viel komprimieren und ordnen. Und ich habe mich schöner gezeichnet. Meine Frisur ist zirka so, wie ich sie gern gehabt hätte. Ich weiß nicht, ob sie wirklich so cool aussah. 

 

Haben Sie nach dem großen Erfolg mit dem Buch schon mal darüber nachgedacht, wegen der besseren wirtschaftlichen Situation für Comiczeichner nach Frankreich zu emigrieren?

Nein. Ich kann kein Französisch. Und ich mag Berlin, ich wohne hier, weil es mir gefällt. 

 

Sie sind seit 1995 in der Stadt. Was hat Sie in die Lychener Straße verschlagen? 

Zuerst war ich am Ostkreuz. Aber da gab es damals nichts. Gar nichts. Ich musste immer nach Mitte fahren, wenn ich mal in einen Club wollte. Oder überhaupt irgendwohin. Ich wollte ein bisschen mehr Leben um mich haben. Gleichgesinnte. Die Jugend hier hat mich angezogen, diese Szene. 

 

Diese Szene hat sich seither stark verändert, Sie haben diese Veränderungen selbst einmal in einem Comic festgehalten (Helmholtzplatz Berlin, 1998 + 2004. Alltagsbeobachtungen. Bei popular books, Berlin, über www.ullilust.de). Sind Sie immer noch gern hier?

Ich finde die Gegend immer noch wahnsinnig schön. Ich mag Kinder. Ich schau sie mir gerne an, hier laufen ja dauernd welche durch die Gegend. Die sind einfach so lustig. Und sie gehen schließlich nicht mit mir nach Hause – was ich auch super finde. Überhaupt finde ich diese Unkerei über Prenzlauer Berg ehrlich gesagt ein bisschen larmoyant. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier plötzlich lauter Reiche wohnen. Menschen mit einem guten Geschmack, ja. Aber das allein ist doch kein Verbrechen. 

 

Die Luxussanierungen werden von vielen kritisiert.

Ich bin selbst auch zweimal umgezogen innerhalb des Kiezes. Einmal einfach so, aber beim zweiten Mal, weil das Haus saniert wurde. Ich habe dann eine Umsetzwohnung bekommen – das ist die, in der wir jetzt gerade sind. Ich hätte mir vorher keine sanierte Wohnung mit Zentralheizung leisten können. Ich habe immer in ganz kleinen Wohnungen mit Kohleöfen gewohnt. Durch den Umzug habe ich mich verbessert.

 

Und jetzt können Sie in dieser Wohnung bleiben?

Ja. Wenn man unter einer gewissen Einkommensgrenze war, wurden einem damals Wohnungen zugeteilt, die einen gewissen Mietpreis nicht überschreiten durften. Es werden offenbar in allen sanierten Häusern solche Wohnungen freigehalten, für Leute mit wenig Einkommen und Wohnberechtigungsschein. Es ist hier nicht alles asozial abgelaufen mit den Sanierungen, das wird ja gern unterstellt. 

 

Der Ablauf hängt vor allem von den Hauseigentümern ab …

Ich hatte immer Glück. Dadurch, dass es diese ganzen Sanierungskritiker gab, mussten die Leute, die die Häuser renoviert haben, starke Auflagen einhalten. In dem Haus in der Dunckerstraße, in dem ich damals wohnte, wurde allen Bewohnern eine Alternative geboten. 

 

Neben Ihren Buchveröffentlichungen betreiben Sie auch die Seite www.electrocomics.com. Damit gelten Sie als Pionierin bei der digitalen Verbreitung von Comics. Worum geht es Ihnen bei dieser Arbeit?

In Deutschland bekommt man Comics meistens nur in Comicläden, und viele Menschen haben eben keinen in ihrer unmittelbaren Nähe. Ich komme in Österreich auch vom Land, ich kenne das. Und wir Zeichner arbeiten ja ständig am Computer. Ich finde es deshalb selbstverständlich, dass man den Bildschirm auch als Projektionsoberfläche benutzt. Früher habe ich Siebdruckbücher gemacht, heute mache ich halt Webcomics. 

 

Werden Sie Ihr nächstes Buch trotzdem beim Comicverlag Avant in der Rodenbergstraße veröffentlichen?

Nein. Es wird wahrscheinlich im Suhrkamp Verlag herauskommen. Aber erst in zwei Jahren. 

 

Dann bleiben Sie ja zumindest den Verlegern hier im Kiez treu. 

Genau. Jedenfalls, wenn Suhrkamp im Kiez bleibt.

 

Was wird das für ein Buch?

Eine Romanadaption als Comic. Nichts Lustiges, sondern eine ganz traurige, deprimierende Geschichte, die im Dritten Reich spielt. Reden wir in zwei Jahren noch mal darüber. 

 

Jedenfalls hat Ihr Engagement im Web ganz offensichtlich nichts damit zu tun, dass Sie Bücher für altmodisch halten?

Nein, ganz und gar nicht. Ich bin froh, dass ich noch der Generation angehöre, in der man Bücher veröffentlichen kann. Diese Kopierproblematik und die Urheberrechtsfragen innerhalb des elektronischen Mediums sind noch nicht geklärt. Und ich kann heute mit Papierbüchern immer noch mehr verdienen als mit elektronischen. Obwohl mir selbst Suhrkamp nicht so viel zahlt, dass ich die nächsten zwei Jahre davon leben kann. Ich arbeite zirka drei Tage für eine Seite.

 

Und was erhoffen Sie sich von Angoulême?

Ich freue mich irrsinnig, die Kollegen zu treffen. Wir sind ja international sehr vernetzt, und in Angoulême sind alle da. Außerdem ist es immer schön, die vitale Comicszene dort zu sehen. Zu diesem Festival gehen ganz normale Leute, Comics gehören schließlich zu den meistverkauften Büchern in Frankreich. Die ganze Stadt ist voller Comics, sogar die Straßenschilder sind Sprechblasen. Das ist einfach erfrischend. 

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