Bei der dritten Schlichtungsrunde zur Kastanienallee wurde klar, wer den Kompromiss am meisten braucht: die Grünen. Sie legen ihr Schicksal in die Hände einer Anwohnerbefragung.
Jens-Holger Kirchner: „Ich dachte, wir wären jetzt schon weiter.“
Sebastian Mücke: „Wo sind wir denn wirklich weiter gekommen in Sachen Gehweg?“
Volker Ratzmann: „Aber jetzt bitte nicht schon wieder!“
Es ist 22.23 Uhr im Raum 111 der GLS-Sprachenschule in der Kastanienallee. Wenig später wird ein Grüner den Satz in die Runde sprechen: „Wir müssen wieder in Übereinstimmung kommen mit der Straße da draußen. Was wir brauchen, ist ein Kompromiss.“ Spätestens da ist klar, dass es an diesem Abend der dritten Schlichtungsrunde gar nicht um Pflastersteine, Ober- und Unterstreifen auf der Kastanienallee geht. Es geht vielmehr um die Grünen und die Frage, wie sie es schaffen, in einem Kiez, in dem sie die Staatspartei sind, die öffentliche Meinung nicht gegen sich aufzubringen.
Die Grünen fürchten den Vorwurf, eine Partei unter vielen zu sein
Wahrscheinlich deshalb nimmt auch wieder Volker Ratzmann, der Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus, an der Runde teil. Ratzmann wurde 2006 im Wahlkreis Pankow 8 mit 34,6 Prozent direkt in das Landesparlament gewählt. Sein Direktmandat damals steht für den Anspruch der Grünen, eine kleine Volkspartei zu sein. Doch der Protest in der Kastanienallee erinnert die Partei auch an ihre eigenen Wurzeln und damit daran, dass sie sich vor nichts mehr fürchtet, als dem Vorwurf der Bürger, eine Partei unter vielen zu sein. So ist die Schlichtungsrunde für die Grünen ein unfreiwilliger Akt der Selbstvergewisserung. „Wir Grünen wollen kreative Lösungen, wir wollen experimentieren“, sagt Daniela Billig, die Kreisvorsitzende der Grünen im Bezirk.
Doch die Grünen sind in Pankow eben auch Teil der Macht – zumindest stellen sie mit Jens-Holger Kirchner den für den Umbau der Straße verantwortlichen Stadtrat. Dem ist nicht besonders wohl an diesem Abend, obwohl er zunächst in der Offensive zu sein scheint. „Ich persönlich, und auch meine Partei, hätte nichts dagegen, Autos ganz aus der Kastanienallee zu verbannen“, sagt er in seinem Eingangsstatement. Er sagt zu, sich für Tempo 30 in der Straße einzusetzen, und er will auch darüber sprechen, ob die bei den Ladenbesitzern so verhassten Parkbuchten wirklich überzeugend seien. Außerdem sei er mit dem Senat in Verhandlungen darüber, ob auf dem geplanten „Angebotsstreifen“, der in erster Linie ein Fahrradstreifen sein soll, nicht entgegen der normalen Rechtslage ein Halteverbot eingeführt werden könne.
„Ich bin positiv überrascht. Es scheint die Zeit der Weihnachtsgeschenke zu sein“, sagt Sebastian Mücke dazu, der für die Ladenbesitzer in der Kastanienallee spricht. Doch dem inzwischen auch von der Runde als Schlichter bestätigten Heiner Funken (Bürgerverein Gleimviertel) schwant bereits, dass eine Lösung so schnell noch nicht gefunden ist: „Wir sind weit entfernt von Kompromissen, auch wenn es gerade in großen Schritten voran geht.“
Die Meinungslage auf Seiten der Gegner ist diffus
Immer deutlicher wird, dass beide Seiten – Bürgerinitiativen und Grüne – ihre Hausaufgaben, wie es Funken nennt, nicht zu Ende gemacht haben. Auf Seiten der Aktivisten ist die Meinungslage so diffus wie seit Beginn der Schlichtung. Die einen sind komplett gegen den Umbau, die anderen wollen aus der Straße am liebsten ein Modellprojekt machen. Vor allem in zwei Fragen scheinen sich die beteiligten Bürger alles andere als einig zu sein: Bei der Frage, was mit den parkenden Autos passieren soll, und dem Streitpunkt, ob die Radfahrer auch weiterhin in der Mitte, zwischen den BVG-Gleisen, fahren sollen. Selbst Volker Ratzmann, der beim zweiten Schlichtungstreffen nicht dabei war, kommt deshalb ins Schlingern. Er schlägt vor, die Fahrradmarkierung in der Mitte beizubehalten – und übersieht dabei, dass gerade die Unfallträchtigkeit zwischen den Gleisen immer das zentrale Argument der Grünen für einen Umbau war. So fällt auf, dass die Grünen zwar in Fragen der Verhandlungsführung gut organisiert sind, ihren eigenen Stadtrat Kirchner aber weitgehend allein lassen, wenn es um die Frage geht, welche Kompromissfindung inhaltlich überhaupt möglich ist.
Trotzdem schaffen es vor allem Funken und Ratzmann nach fast zweieinhalb Stunden ergebnisloser Diskussion, in der Runde wieder Gestaltungsehrgeiz zu wecken. Ratzmann erinnert daran, dass die Grünen in die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 2. März 2011 einen konkreten Änderungsantrag einbringen müssten, um angesichts geschlossener Verträge überhaupt noch etwas bewirken zu können. Aus seiner Partei kommt dann der Vorschlag, eine Anwohnerbefragung in der Kastanienallee durchzuführen. Aber was soll darin zur Abstimmung gestellt werden? Bei dem etwa ein Dutzend der anwesenden Bürger kommt die Forderung auf, es solle auch über einen kompletten Bauverzicht abgestimmt werden, und bei einem Ja sollten sich die Grünen in der BVV dann daran halten. Das aber ist eine Forderung, die für die Grünen unannehmbar ist. Denn dann könnten sie gleich für einen (verbindlichen) Bürgerentscheid sein.
Und so einigt sich die Runde am Ende darauf, eine Gruppe von vier Sprechern zu benennen, die bis zur nächsten Sitzung am 13. Januar einen Kompromiss ausarbeiten soll. Sie besteht aus der Grünen-Kreischefin Daniela Billig, Sebastian Mücke, dem Anwohner André Nunes und Frank Möller von der Bürgerinitiative Carambolagen. Der verantwortliche Stadtrat Kirchner wird der Runde offiziell nicht angehören, was Mediator Funken damit begründet, dass sich die Gruppe erst einmal „ohne Beobachtungsfaktor“ finden müsse. Sollte der Vorschlag dann von den Anwohnern (befragt werden sollen nur die direkten Anlieger der Kastanienallee) angenommen werden, würden ihn die Grünen in die BVV einbringen. „Die Befragung, das ist das Muskel-Upgrade, das wir brauchen, um überhaupt in der BVV bestehen zu können“, schiebt Funken zur Begründung nach. Nach wie vor offen ist übrigens, wie man sich den Kontakt zu den anderen BVV-Fraktionen vorstellt, die von einer Änderung des Umbauvorhabens überzeugt werden müssten.
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