Ein neues Buch dokumentiert die Baugeschichte von Prenzlauer Berg. Am Anfang standen Schnaps- und Knochenbrennereien.
So richtig verstanden haben viele Bewohner von Prenzlauer Berg und Weißensee auch zehn Jahre nach der Bezirksfusion noch nicht, warum sie Pankower sind. Und so ist dem Prenzlauer-Berg-Einwohner der Kotti oder der Breitscheidplatz vermutlich näher als die Dorfkirche Karow und die Rieselfeldanlage der Stadtrandsiedlung Malchow.
Zu Unrecht, wie nun ein neues Buch der unteren Denkmalschutzbehörde Pankow zeigt, das Bezirksbürgermeister Matthias Köhne kürzlich vorstellte und das jetzt druckfrisch kurz vor Weihnachten zu beziehen ist. Es heißt: „Berlin-Pankow. Aus der Orts- und Baugeschichte“ und wurde von der Behördenleiterin Kerstin Lindstädt außerhalb der Dienstzeiten verfasst. Es listet zum ersten Mal alle registrierten Denkmalorte im Bezirk Berlin-Pankow auf. Das Buch sei eine wahre „Fundgrube an Schätzen“, lobte Köhne. Er rief die Stadtbewohner von Prenzlauer Berg zu Touren nach Heinersdorf, Blankenburg und Französisch Buchholz auf.
An der Knochenbrennerei
Tatsächlich können es diese Orte an Geschichtsträchtigkeit mit Prenzlauer Berg locker aufnehmen, wie das Buch darlegt. Buch zum Beispiel war unter den Ortsnamen Wentzschenbruck und Wentschenbug schon längst Schauplatz der märkischen Geschichte, als auf dem Prenzlauer Berg noch kein einziger „Communicationsweg“ zu sehen war. Weißensee präsentiert sich auf den zahlreich vorhandenen historischen Fotografien als preußisches Abbild einer englischen Landgemeinde. Die Gemeinde setzte um die Jahrhundertwende alles daran, die Stadtrechte zu erhalten und engagierte dafür eigens einen Baumeister namens James Bühring, der nach dem unglücklichen Scheitern dieser Pläne ein Elefantenhaus und die Bärenburg für den Zoo in Leipzig baute.
Auf dem „Urmesstischblatt“ von 1872, einer Karte, mit der das Kapitel über Prenzlauer Berg beginnt, ließ sich jedenfalls nicht erkennen, dass aus den Ackerflächen am Rande Berlins, nur durchsetzt von Brauereien und Schnapsbrennereien, einmal einer der gefühlten Hot Spots auf dem Kontinent werden sollte. Nur an der Kastanienallee ist eine erste Bebauung zu erkennen. Wenn es noch eines Arguments bedurft hätte, dass hier das kreative Zentrum Berlins liegt, dann findet es sich in dieser Karte – auf dem Gelände des Bötzowviertels daneben grüßt dagegen laut Plan nur eine „Knochenbrennerei“.
Untergäriges Bier auf dem Pfefferberg
Mehrere hundert Bauwerke listet Lindstädts Buch auf, beginnend mit dem ehemaligen Kreditwarenhaus Jonaß & Co. KG, in dem mittlerweile nach einer Zwischennutzung als Institut für Marxismus und Leninismus das Soho House residiert, das man nur auf Einladung betreten kann. „Der Standort war offenbar unrentabel“, schreibt Lindstädt über die historische Adresse, um später noch einmal mündlich anzumahnen, dass die denkmalgerechte Sanierung durch den Soho Club leider immer noch nicht abgeschlossen sei.
Faszinierend liest sich die Geschichte der Brauereien in Prenzlauer Berg, das für seine Wasserqualität schon früh große Bekanntheit genoss. So gründete der bayerische Braumeister Joseph Pfeffer auf dem Mühlenberg die Brauerei Pfefferberg. „Er war der erste Brauer Berlins, der untergäriges Bier anbot“. Damit war er so erfolgreich, dass er die markante Pergola bauen konnte, die noch heute den Senefelderplatz prägt.
Fünf Stockwerke in sechs Monaten
Interessant auch, dass die vielen Kirchengebäude in Prenzlauer Berg vor allem eine Ursache haben. Am Karfreitag 1891 soll es in der Zionskirche am Zionskirchplatz eine solche Massenschlägerei gegeben haben, dass in der Folge ein Gotteshaus nach dem anderen entstand. Das hing auch mit der Bevölkerungsexplosion in Prenzlauer Berg zusammen, denn wie sich in dem Buch nachlesen lässt, entstanden in der Hochphase des Gründerbooms komplette fünfgeschossige Wohnhäuser mit Seitenflügel und Hinterhaus in knapp sechs Monaten – davon können die Investoren heute nur träumen können.
Neben den Baudenkmälern von Prenzlauer Berg, die jeweils mit mindestens einem historischen Foto und mehreren aktuellen Darstellungen vorgestellt werden, widmet sich das Buch auch übergreifenden historischen Themen, zum Beispiel dem Hobrecht-Plan, der das Straßenraster von Prenzlauer Berg vorgab, oder der Geschichte des Judengangs im Kollwitzviertel. Wer verstehen will, warum Prenzlauer Berg so gebaut wurde, wie es heute noch weitgehend zu besichtigen ist, dem sei ein Blick in dieses Buch, das auch ein Nachschlagewerk ist, auf jeden Fall empfohlen.
Kerstin Lindstädt: Berlin-Pankow. Eine Orts- und Baugeschichte, Berlin 2010, 286 S., Schutzgebühr: 27,- Euro