Der Streit um die Flaniermeile wird zum kleinen Stuttgart 21. Anwohner sammeln Unterschriften, es wird geschlichtet, ein grüner Stadtrat muss sich erklären. Warum ein Gehweg für große Emotionen sorgt.
Die Kastanienallee ist eine besondere Straße. Diesen Satz hört man immer wieder, egal ob von Stadtplanern oder von empörten Bürgern. Die Schlussfolgerungen aus diesem Satz sind aber höchst unterschiedlich. Für die einen ist die Kastanienallee eine Flaniermeile, auf der man spazieren, sitzen, feiern möchte. Die anderen sehen in ihr eine Verkehrsachse, die mit wenig Hindernissen und ohne Unfälle passiert werden soll.
Es sind zwei Vorstellungen von Straßenraum, die kaum miteinander vereinbar sind. Gleich vier Arten von Verkehrsteilnehmern beanspruchen den knappen Raum in der Kastanienallee: Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und die Straßenbahn. Vor allem die Tram ist nun der Grund dafür, dass die Straße anders aussehen soll.
Bisher teilt sich die Tram den Platz zwischen den Gleisen mit Radfahrern. Vor einigen Jahren ließ der Bezirk dazu extra Fahrradsymbole zwischen die Gleise sprühen. Sie sollen Radfahrer dazu animieren, in der Mitte der Straße zu fahren. Denn an den Rändern stehen parkende Autos, und unachtsam geöffnete Türen gelten als eine der häufigsten Unfallursachen bei Radfahrern.
Doch diese Lösung kann nach Ansicht des Bezirksamts nicht von Dauer sein. Sie sei rechtlich befristet, ein selbst in Berlin einmaliger Sonderfall, außerdem fühlten sich viele Radfahrer zwischen den Gleisen unsicher, vor allem, wenn eine Tram direkt hinter ihnen fährt. Und der BVG sind die Radler zwischen den Gleisen eh schon längst ein Dorn im Auge. Die Lösung des Bezirksamts sieht so aus: Fahrradfahrer sollen einen eigenen Streifen für sich bekommen, jeweils am linken und rechten Straßenrand. 1,50 Meter soll dieser breit sein, dafür werden die bisherigen Parkflächen geopfert.
Neu gebaut werden sollen stattdessen 85 „Parktaschen“, das sind Buchten, die in den Bürgersteig hineinragen. Der Platz, den Straßenbahn und Radfahrer gewinnen, würde auf Kosten von Fußgängern und Gehwegen gehen – so sehen es zumindest die Gegner der Umbaupläne. Sie haben recht und unrecht zugleich. Einerseits wird die Fahrbahn enger (von elf auf neun Meter), andererseits ragen die Parktaschen in den insgesamt breiteren Gehweg hinein.
Das Bezirksamt argumentiert nun, die Zahl der Parkplätze reduziere sich um 40 Prozent. Außerdem werde der Bürgersteig an den Tramhaltestellen näher zur Straßenbahn geführt – durch den Bau sogenannter Haltestellencaps. Rollstuhlfahrer zum Beispiel kommen dann leichter in die Straßenbahn. Der Umbau der Allee entspreche deshalb moderner Verkehrspolitik.
Ob allerdings die Fahrradfahrer profitieren werden, das ist heftig umstritten. Ihr Radstreifen ist genau genommen ein „Angebotsstreifen“. Das heißt: Er darf auch von Autofahrern zum Halten genutzt werden. Die Kritiker des Umbaus prophezeien bereits, dass künftig massenhaft in zweiter Reihe geparkt wird. Radfahrer würden dann erst recht zwischen die Gleise gedrängt, und es gäbe noch mehr parkende Autos als jetzt schon in der Kastanienallee.
Über die Zahl der Parkbuchten könne noch einmal geredet werden, heißt es von Seiten der Verwaltung. Die Haltestellencaps und der Umbau des Gehwegs seien aber nicht verhandelbar. Unklar ist übrigens, wie es im unteren Teil der Kastanienallee weitergeht. Denn nur bis zur Schwedter Straße ist der Bezirk Pankow zuständig, dann beginnt Berlin-Mitte. 1,5 Millionen Euro sollen auf den knapp 700 Metern von dort bis zur Schönhauser Allee verbaut werden. Die Bauarbeiten haben offiziell schon begonnen. Allerdings sind die ersten Bagger an der Schwedter Straße nach einigen Erdarbeiten schon wieder abgerückt. Der Umbau der Straße, auf zwei Jahre angelegt, könnte also noch länger dauern – wenn er überhaupt kommt.