Eine bunte Autobiografie offenbart die Vielseitigkeit der Künstlerin Cornelia Schleime, die eine zentrale Figur der legendären Künstlerszene in Prenzlauer Berg der 80er Jahre ist.
Da liegt sie mit brauner Langhaarperücke auf einem Bett und liest in der „Bravo“: Cornelia Schleime inszeniert sich selbst, in poppiger 80er-Montur. Die hässliche Raufasertapete im Hintergrund ist mit Plakaten der amerikanischen Hard-Rock-Band „Cinderella“ behängt, auf dem Pubertierendenblättchen ist ein Coca-Cola-Schriftzug zu erkennen. Die Bettwäsche: Lila-bunt. So war das eben damals „in“ – nicht nur in Westdeutschland.
„In der Liebe und in der Kunst weiß ich genau, was ich nicht will“ heißt der autobiografische Band, in dem das Bild neben vielen anderen zu sehen ist. In ihrer Anfang der 90er Jahre entstandenen „Stasi-Serie“ hat die Künstlerin solche fotografierten Selbstinszenierungen in Kopien ihrer Bespitzelungsakten des „Ministeriums für Staatssicherheit“ montiert – als ironischen Kommentar zu den Diffamierungen, die da über sie („die Sch.“) zu lesen sind. Ein Informant schreibt zum Beispiel: „Im Wohngrundstück wurde sie von den Mietern als asoziale Person eingeschätzt,“ und: „Ihre Besucher nutzten die Fenster als Eingang.“
Die vierzehnteilige „Stasi-Serie“ ist hier zum ersten Mal vollständig veröffentlicht, aber auch zahllose andere Arbeiten erlauben teilweise sehr persönliche Einblicke in das Werk der 1953 geborenen Künstlerin. Das Buch ist ein kompakter Querschnitt ihres bisherigen Lebenswegs, versammelt Fotos und Filmstills, Aquarelle, Zeichnungen und Gemälde, Gedichte und andere Texte in chronologischer Folge.
Nur das Frühwerk fehlt. Es ging verloren, als Cornelia Schleime 1984 von Ost- nach West-Berlin übersiedelte und ausgebürgert wurde; nach dem Ausstellungs- und Auftrittsverbot von 1981 sah sie in der Diktatur keine Zukunft mehr für sich. Ins Visier der Staatssicherheit war sie bereits während ihres Studiums in Dresden geraten – ihre Installationen, Körperaktionen und auch ihre Punk-Band “Zwitschermaschine“ waren eben nicht gerade das, was sich DDR-Funktionäre unter einem staatskonformen Kunstwerk vorstellten. Auch ihr bester Freund verriet sie an das MfS: Der Dichter Sascha Anderson, wie Schleime selbst eine zentrale Figur der legendären Künstlerszene in Prenzlauer Berg der 80er Jahre. 2008 veröffentlichte sie einen ganzen Roman über diese Enttäuschung („Weit fort,“ Hoffmann und Campe). Im neuen Buch steht einmal schlicht „Scheiß Osten“ auf ein tristes Hotelzimmer-Foto gekritzelt.
Aber eine Seite weiter heißt es dann schon: „Es hat sich die Ausreise gelohnt“ – auf dem zugehörigen Foto entsteigt sie, wohl frisiert und im kleinen Schwarzen, einer schicken, glänzenden West-Limousine. Nein, zu den Künstlern, die nach der Wende nie recht im Westen ankamen, gehört Cornelia Schleime mit Sicherheit nicht. Viele ihrer jüngeren Werke entstanden auf Reisen, bei Auslandsstipendien – in Italien, auf Hawaii oder in den USA. Aus Indonesien bringt sie ein übermaltes Foto von sich selbst mit, auf einem Elefanten reitend. Aus Afrika eine Giraffe im Brautkleid.
Man kann mit Hilfe dieses Buches gut die ästhetische Entwicklung Cornelia Schleimes nachvollziehen, von ihrer Prägung in den subversiven Milieus der Diktatur bis hin zu ihrer aktuell anhaltenden, kritischen Auseinandersetzung mit dem Warencharakter von Kunst. Gerade die nach ihrer Ausreise übermalten Postkarten sind ja nichts anderes als der Versuch, beliebig reproduzierbare Massenprodukte in originale, einzigartige Kunstwerke zu verwandeln.
Heute lebt und arbeitet Cornelia Schleime zumindest teilweise wieder in Prenzlauer Berg, im ländlichen Brandenburg hat sie zudem ein Atelier. Den feinen Unterschieden zwischen Ost- und Westkultur bleibt sie hier wie dort auf der Spur. „Der Westler sagt: Wir erwarten Gäste. Der Ostler: Wir bekommen Besuch. Daran hat sich bis heute nichts geändert.“
Cornelia Schleime: In der Liebe und in der Kunst weiß ich genau, was ich nicht will. Kerber Verlag 2010, 264 Seiten, 29,95 Euro